Seite - 41 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Mißlingen für jede der beiden Absichten, die gefährdete Intention wird weder ganz unterdrückt,
noch setzt sie sich – von Einzelfällen abgesehen – ganz unversehrt durch. Wir können uns
denken, daß besondere Bedingungen für das Zustandekommen solcher Interferenz- oder
Kompromißergebnisse vorhanden sein müssen, aber wir können auch nicht einmal ahnen,
welcher Art sie sein können. Ich glaube auch nicht, daß wir diese uns unbekannten Verhältnisse
durch weitere Vertiefung in das Studium der Fehlleistungen aufdecken könnten. Es wird vielmehr
notwendig sein, vorher noch andere dunkle Gebiete des Seelenlebens zu durchforschen; erst die
Analogien, die uns dort begegnen, können uns den Mut geben, jene Annahmen aufzustellen, die
für eine tiefer reichende Aufklärung der Fehlleistungen erforderlich sind. Und noch eines! Auch
das Arbeiten mit kleinen Anzeichen, wie wir es auf diesem Gebiete beständig üben, bringt seine
Gefahren mit sich. Es gibt eine seelische Erkrankung, die kombinatorische Paranoia, bei welcher
die Verwertung solcher kleiner Anzeichen in uneingeschränkter Weise betrieben wird, und ich
werde mich natürlich nicht dafür einsetzen, daß die auf dieser Grundlage aufgebauten Schlüsse
durchwegs richtig sind. Vor solchen Gefahren kann uns nur die breite Basis unserer
Beobachtungen bewahren, die Wiederholung ähnlicher Eindrücke aus den verschiedensten
Gebieten des Seelenlebens.
Wir werden also die Analyse der Fehlleistungen hier verlassen. An eines darf ich Sie aber noch
mahnen; wollen Sie die Art, wie wir diese Phänomene behandelt haben, als vorbildlich im
Gedächtnis behalten. Sie können an diesem Beispiel ersehen, welches die Absichten unserer
Psychologie sind. Wir wollen die Erscheinungen nicht bloß beschreiben und klassifizieren,
sondern sie als Anzeichen eines Kräftespiels in der Seele begreifen, als Äußerung von
zielstrebigen Tendenzen, die zusammen oder gegeneinander arbeiten. Wir bemühen uns um eine
dynamische Auffassung der seelischen Erscheinungen. Die wahrgenommenen Phänomene
müssen in unserer Auffassung gegen die nur angenommenen Strebungen zurücktreten.
Wir wollen also bei den Fehlleistungen nicht weiter in die Tiefe gehen, aber wir können noch
einen Streifzug durch die Breite dieses Gebiets unternehmen, auf dem wir Bekanntes
wiederfinden und einiges Neue aufspüren werden. Wir halten uns dabei an die Einteilung in die
bereits eingangs aufgestellten drei Gruppen des Versprechens mit den beigeordneten Formen des
Verschreibens, Verlesens, Verhörens, des Vergessens mit seinen Unterteilungen je nach dem
vergessenen Objekte (Eigennamen, Fremdworten, Vorsätzen, Eindrücken) und des Vergreifens,
Verlegens, Verlierens. Die Irrtümer, soweit sie für uns in Betracht kommen, schließen sich teils
dem Vergessen, teils dem Vergreifen an.
Vom Versprechen haben wir bereits so eingehend gehandelt und doch noch einiges
hinzuzufügen. Es knüpfen sich an das Versprechen kleinere affektive Phänomene, die nicht ganz
ohne Interesse sind. Es will niemand sich gerne versprochen haben; man überhört auch oft das
eigene Versprechen, niemals das eines anderen. Das Versprechen ist auch in gewissem Sinne
ansteckend; es ist gar nicht leicht, über das Versprechen zu reden, ohne dabei selbst in
Versprechen zu verfallen. Die geringfügigsten Formen des Versprechens, die gerade keine
besonderen Aufklärungen über versteckte seelische Vorgänge zu geben haben, sind doch in ihrer
Motivierung unschwer zu durchschauen. Wenn jemand z. B. einen langen Vokal kurz gesprochen
hat infolge einer beliebig motivierten, bei diesem Wort eingetretenen Störung, so dehnt er dafür
einen bald darauf folgenden kurzen Vokal und begeht ein neues Versprechen, indem er das
frühere kompensiert. Dasselbe, wenn er einen Doppelvokal unrein und nachlässig ausgesprochen
hat, z.
B. ein en oder oi wie ei; er sucht es gutzumachen, indem er ein nachfolgendes ei zu eu oder
oi verändert. Dabei scheint eine Rücksicht auf den Zuhörer maßgebend zu sein, der nicht glauben
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin