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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 58 -
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Sie: Es lohnt nicht, es muß ohnedies neu beledert werden.« Dieser Traum wiederholt ein Gespräch, welches sich ohne viel Veränderung am Tage vor dem Traum zwischen ihrem Mann und ihr abgespielt hat. Was lernen wir aus diesen beiden nüchternen Träumen? Nichts anderes, als daß sich Wiederholungen aus dem Leben des Tages oder Anknüpfungen an dasselbe in ihnen finden. Das wäre schon etwas, wenn es sich von den Träumen allgemein aussagen ließe. Aber davon ist keine Rede, auch dies gilt nur für eine Minderzahl; in den meisten Träumen ist von einer Anknüpfung an den Vortag nichts zu finden, und auf die unsinnigen und absurden Träume fällt von hier aus kein Licht. Wir wissen nur, daß wir auf eine neue Aufgabe gestoßen sind. Wir wollen nicht nur wissen, was ein Traum sagt, sondern wenn er es, wie in unseren Beispielen, deutlich sagt, wollen wir auch wissen, warum und wozu man dies Bekannte, erst kürzlich Erlebte, im Traum wiederholt. Ich glaube, Sie werden wie ich müde sein, Versuche wie unsere bisherigen fortzusetzen. Wir sehen eben, alles Interesse für ein Problem ist unzureichend, wenn man nicht auch einen Weg kennt, den man einschlagen kann, daß er zur Lösung hinführe. Wir haben diesen Weg bis jetzt nicht. Die experimentelle Psychologie hat uns nichts gebracht als einige sehr schätzbare Angaben über die Bedeutung der Reize als Traumanreger. Von der Philosophie haben wir nichts zu erwarten, als daß sie uns neuerdings hochmütig die intellektuelle Minderwertigkeit unseres Objekts vorhalte; bei den okkulten Wissenschaften wollen wir doch keine Anleihe machen. Geschichte und Volksmeinung sagen uns, der Traum sei sinnreich und bedeutungsvoll, er blicke in die Zukunft; das ist doch schwer anzunehmen und gewiß nicht beweisbar. So läuft unsere erste Bemühung in volle Ratlosigkeit aus. Unerwarteterweise kommt uns ein Wink von einer Seite zu, nach der wir bisher nicht geblickt haben. Der Sprachgebrauch, der ja nichts Zufälliges, sondern der Niederschlag alter Erkenntnis ist, der freilich nicht ohne Vorsicht verwertet werden darf – unsere Sprache also kennt etwas, was sie merkwürdigerweise »Tagträumen« heißt. Tagträume sind Phantasien (Produktionen der Phantasie); es sind sehr allgemeine Phänomene, wiederum bei Gesunden ebenso zu beobachten wie bei Kranken und bei der eigenen Person dem Studium leicht zugänglich. Das Auffälligste an diesen phantastischen Bildungen ist, daß sie den Namen »Tagträume« erhalten haben, denn von beiden Gemeinsamen der Träume haben sie nichts an sich. Der Beziehung zum Schlafzustande widerspricht schon ihr Name, und was das zweite Gemeinsame betrifft, so erlebt, halluziniert man in ihnen nichts, sondern stellt sich etwas vor; man weiß, daß man phantasiert, sieht nicht, sondern denkt. Diese Tagträume treten in der Vorpubertät, oft schon in der späteren Kinderzeit auf, halten bis in die Jahre der Reife an, werden dann entweder aufgegeben oder bis ins späteste Alter festgehalten. Der Inhalt dieser Phantasien wird von einer sehr durchsichtigen Motivierung beherrscht. Es sind Szenen und Begebenheiten, in denen die egoistischen, Ehrgeiz- und Machtbedürfnisse, oder die erotischen Wünsche der Person Befriedigung finden. Bei jungen Männern stehen meist die ehrgeizigen Phantasien voran, bei den Frauen, die ihren Ehrgeiz auf Liebeserfolge geworfen haben, die erotischen. Aber oft genug zeigt sich auch bei den Männern die erotische Bedürftigkeit im Hintergrunde; alle Heldentaten und Erfolge sollen doch nur um die Bewunderung und Gunst der Frauen werben. Sonst sind diese Tagträume sehr mannigfaltig und erfahren wechselvolle Schicksale. Sie werden entweder, ein jeder von ihnen, nach kurzer Zeit fallengelassen und durch einen neuen ersetzt, oder sie werden festgehalten, zu langen Geschichten ausgesponnen und passen sich den Veränderungen der Lebensverhältnisse an. Sie gehen sozusagen mit der Zeit und empfangen von ihr eine »Zeitmarke«, die den Einfluß der neuen Situation bezeugt. Sie sind das Rohmaterial der poetischen Produktion, denn aus seinen Tagträumen macht der Dichter durch gewisse Umformungen, Verkleidungen und Verzichte die 58
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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