Seite - 62 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Schlafes nichts zu wissen. Bernheim forderte ihn dann direkt auf zu erzählen, was sich mit ihm
während der Hypnose zugetragen. Er behauptete, er wisse sich an nichts zu erinnern. Aber
Bernheim bestand darauf, er drang in den Mann, versicherte ihm, er wisse es, müsse sich daran
erinnern, und siehe da, der Mann wurde schwankend, begann sich zu besinnen, erinnerte zuerst
wie schattenhaft eines der ihm suggerierten Erlebnisse, dann ein anderes Stück, die Erinnerung
wurde immer deutlicher, immer vollständiger, und endlich war sie lückenlos zutage gefördert. Da
er es aber nachher wußte und inzwischen von keiner anderen Seite etwas erfahren hatte, ist der
Schluß berechtigt, daß er um diese Erinnerungen auch vorher gewußt hat. Sie waren ihm nur
unzugänglich, er wußte nicht, daß er sie wisse, er glaubte, daß er sie nicht wisse. Also ganz der
Fall, den wir beim Träumer vermuten.
Ich hoffe, Sie werden von der Feststellung dieser Tatsache überrascht sein und mich fragen:
Warum haben Sie sich auf diesen Beweis nicht schon früher, bei den Fehlleistungen berufen, als
wir dazu kamen, dem Mann, der sich versprochen hatte, Redeabsichten zuzuschreiben, von denen
er nichts wußte und die er verleugnete? Wenn jemand von Erlebnissen nichts zu wissen glaubt,
deren Erinnerung er doch in sich trägt, so ist es nicht mehr so unwahrscheinlich, daß er auch von
anderen seelischen Vorgängen in seinem Innern nichts weiß. Dies Argument hätte uns gewiß
Eindruck gemacht und uns im Verständnis der Fehlleistungen gefördert. Gewiß hätte ich mich
schon damals darauf berufen können, aber ich sparte es auf bis zu einer anderen Stelle, an der es
notwendiger wäre. Die Fehlleistungen haben sich zum Teil selbst aufgeklärt, zum anderen Teil
hinterließen sie uns die Mahnung, dem Zusammenhang der Erscheinungen zuliebe die Existenz
solcher seelischer Vorgänge, von denen man nichts weiß, doch anzunehmen. Beim Traum sind
wir gezwungen, Erklärungen von anderswoher heranzuziehen, und überdies rechne ich damit,
daß Sie hier eine Übertragung von der Hypnose her leichter zulassen werden. Der Zustand, in
dem wir eine Fehlleistung vollziehen, muß Ihnen als der normale erscheinen, er hat mit dem
hypnotischen keine Ähnlichkeit. Dagegen besteht eine deutliche Verwandtschaft zwischen dem
hypnotischen Zustand und dem Schlafzustand, welcher die Bedingung des Träumens ist. Die
Hypnose heißt ja ein künstlicher Schlaf; wir sagen der Person, die wir hypnotisieren: schlafen
Sie, und die Suggestionen, die wir erteilen, sind den Träumen des natürlichen Schlafes
vergleichbar. Die psychischen Situationen sind in beiden Fällen wirklich analoge. Im natürlichen
Schlaf ziehen wir unser Interesse von der ganzen Außenwelt zurück, im hypnotischen wiederum
von der ganzen Welt, aber mit Ausnahme der einen Person, die uns hypnotisiert hat, mit welcher
wir im Rapport bleiben. Übrigens ist der sogenannte Ammenschlaf, bei dem die Amme im
Rapport mit dem Kind bleibt und nur von diesem zu erwecken ist, ein normales Seitenstück zum
hypnotischen. Die Übertragung eines Verhältnisses von der Hypnose auf den natürlichen Schlaf
scheint also kein so kühnes Wagnis. Die Annahme, daß auch beim Träumer ein Wissen um
seinen Traum vorhanden ist, das ihm nur unzugänglich ist, so daß er es selbst nicht glaubt, ist
nicht völlig aus der Luft gegriffen. Merken wir uns übrigens, daß sich an dieser Stelle ein dritter
Zugang zum Studium des Traumes eröffnet; von den schlafstörenden Reizen aus, von den
Tagträumen und jetzt noch von den suggerierten Träumen des hypnotischen Zustandes.
Nun kehren wir vielleicht mit gesteigertem Zutrauen zu unserer Aufgabe zurück. Es ist also sehr
wahrscheinlich, daß der Träumer um seinen Traum weiß; es handelt sich nur darum, ihm möglich
zu machen, daß er sein Wissen auffindet und es uns mitteilt. Wir verlangen nicht, daß er uns
sofort den Sinn seines Traumes sage, aber die Herkunft desselben, den Gedanken- und
Interessenkreis, aus dem er stammt, wird er auffinden können. Im Falle der Fehlleistung, erinnern
Sie sich, wurde er gefragt, wie er zu dem Fehlwort »Vorschwein« gekommen war, und sein
nächster Einfall gab uns die Aufklärung. Unsere Technik beim Traume ist nun eine sehr einfache,
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin