Seite - 70 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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aufrechterhalten wollen? Wenn ein Kind die geballte Hand nicht aufmachen will, um zu zeigen,
was es in ihr hat, dann ist es gewiß etwas Unrechtes, was es nicht haben soll.
Im Augenblick, da wir die dynamische Vorstellung eines Widerstandes in unseren Sachverhalt
einführen, müssen wir auch daran denken, daß dieses Moment etwas quantitativ Variables ist. Es
kann größere und kleinere Widerstände geben, und wir sind darauf vorbereitet, daß sich diese
Unterschiede auch während unserer Arbeit zeigen werden. Vielleicht bringen wir damit eine
andere Erfahrung zusammen, die wir auch bei der Arbeit der Traumdeutung machen. Es bedarf
nämlich manchmal nur eines einzigen oder einiger weniger Einfälle, um uns vom Traumelement
zu seinem Unbewußten zu bringen, während andere Male lange Ketten von Assoziationen und
die Überwindung vieler kritischer Einwendungen dazu erfordert wird.
Wir werden uns sagen, diese Verschiedenheiten hängen mit den wechselnden Größen des
Widerstandes zusammen, und werden wahrscheinlich recht behalten. Wenn der Widerstand
gering ist, so ist auch der Ersatz vom Unbewußten nicht weit entfernt; ein großer Widerstand
bringt aber große Entstellungen des Unbewußten und damit einen langen Rückzug vom Ersatz
zum Unbewußten mit sich.
Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, einen Traum herzunehmen und unsere Technik an ihm zu
versuchen, ob sich unsere an sie geknüpften Erwartungen bestätigen. Ja, aber welchen Traum
sollen wir dazu wählen? Sie glauben nicht, wie schwer mir diese Entscheidung fällt, und ich kann
Ihnen auch noch nicht begreiflich machen, worin die Schwierigkeiten liegen. Es muß offenbar
Träume geben, die im ganzen wenig Entstellung erfahren haben, und es wäre das beste, mit
solchen anzufangen. Aber welche Träume sind die am wenigsten entstellten? Die verständigen
und nicht verworrenen, von denen ich Ihnen bereits zwei Beispiele vorgelegt habe? Da würden
wir sehr irregehen. Die Untersuchung zeigt, daß diese Träume einen außerordentlich hohen Grad
von Entstellung erfahren haben. Wenn ich aber unter Verzicht auf eine besondere Bedingung
einen beliebigen Traum herausgreife, so werden Sie wahrscheinlich sehr enttäuscht werden. Es
kann sein, daß wir eine solche Fülle von Einfällen zu den einzelnen Traumelementen zu merken
oder zu verzeichnen haben, daß die Arbeit vollkommen unübersichtlich wird. Schreiben wir uns
den Traum nieder und halten die Niederschrift aller dazu sich ergebenden Einfälle dagegen, so
können diese leicht ein Vielfaches des Traumtextes ausmachen. Am zweckmäßigsten schiene es
also, mehrere kurze Träume zur Analyse auszusuchen, von denen jeder uns wenigstens etwas
sagen oder bestätigen kann. Dazu werden wir uns auch entschließen, wenn die Erfahrung uns
nicht etwa anzeigen sollte, wo wir die wenig entstellten Träume wirklich finden können.
Ich weiß aber noch eine andere Erleichterung, die überdies auf unserem Wege liegt. Anstatt die
Deutung ganzer Träume in Angriff zu nehmen, wollen wir uns auf einzelne Traumelemente
beschränken und an einer Reihe von Beispielen verfolgen, wie diese durch die Anwendung
unserer Technik Aufklärung finden.
a) Eine Dame erzählt, sie habe als Kind sehr oft geträumt, der liebe Gott habe einen spitzen
Papierhut auf dem Kopf. Wie wollen Sie das ohne die Hilfe der Träumerin verstehen? Es klingt ja
ganz unsinnig. Es ist nicht mehr unsinnig, wenn uns die Dame berichtet, daß man ihr als Kind bei
Tische einen solchen Hut aufzusetzen pflegte, weil sie es nicht unterlassen konnte, auf die Teller
der Geschwister zu schielen, ob eines von ihnen mehr bekommen habe als sie. Der Hut sollte also
wie ein Scheuleder wirken. Übrigens eine historische Auskunft und ohne jede Schwierigkeit
gegeben. Die Deutung dieses Elements und damit des ganzen kurzen Traumes ergibt sich leicht
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin