Seite - 71 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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mit Hilfe eines weiteren Einfalls der Träumerin. »Da ich gehört hatte, der liebe Gott sei
allwissend und sehe alles«, sagt sie, »so kann der Traum nur bedeuten, daß ich alles weiß und
alles sehe wie der liebe Gott, auch wenn man mich daran hindern will.« Dieses Beispiel ist
vielleicht zu einfach.
b) Eine skeptische Patientin hat einen längeren Traum, in dem es vorkommt, daß ihr gewisse
Personen von meinem Buch über den »Witz« erzählen und es sehr loben. Dann wird etwas
erwähnt von einem »Kanal«, vielleicht ein anderes Buch, in dem Kanal vorkommt, oder sonst
etwas mit Kanal… sie weiß es nicht …es ist ganz unklar.
Nun werden Sie gewiß zu glauben geneigt sein, daß das Element »Kanal« sich der Deutung
entziehen wird, weil es selbst so unbestimmt ist. Sie haben mit der vermuteten Schwierigkeit
recht, aber es ist nicht darum schwer, weil es undeutlich ist, sondern es ist undeutlich aus einem
anderen Grund, demselben, der auch die Deutung schwer macht. Der Träumerin fällt zu Kanal
nichts ein; ich weiß natürlich auch nichts zu sagen. Eine Weile später, in Wahrheit am nächsten
Tage, erzählt sie, es sei ihr eingefallen, was vielleicht dazugehört. Auch ein Witz nämlich, den sie
erzählen gehört hat. Auf einem Schiff zwischen Dover und Calais unterhält sich ein bekannter
Schriftsteller mit einem Engländer, welcher in einem gewissen Zusammenhange den Satz zitiert:
Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas. Der Schriftsteller antwortet: Oui, le pas de Calais, –
womit er sagen will, daß er Frankreich großartig und England lächerlich findet. Der Pas de
Calais ist aber doch ein Kanal, der Ärmelkanal nämlich, Canal la manche. Ob ich meine, daß
dieser Einfall etwas mit dem Traum zu tun hat? Gewiß, meine ich, er gibt wirklich die Lösung
des rätselhaften Traumelements. Oder wollen Sie bezweifeln, daß dieser Witz bereits vor dem
Traum als das Unbewußte des Elements »Kanal« vorhanden war, können Sie annehmen, daß er
nachträglich hinzugefunden wurde? Der Einfall bezeugt nämlich die Skepsis, die sich bei ihr
hinter aufdringlicher Bewunderung verbirgt, und der Widerstand ist wohl der gemeinsame Grund
für beides, sowohl, daß ihr der Einfall so zögernd gekommen, als auch dafür, daß das
entsprechende Traumelement so unbestimmt ausgefallen ist. Blicken Sie hier auf das Verhältnis
des Traumelements zu seinem Unbewußten. Es ist wie ein Stückchen dieses Unbewußten, wie
eine Anspielung darauf; durch seine Isolierung ist es ganz unverständlich geworden.
c) Ein Patient träumt in längerem Zusammenhange: Um einen Tisch von besonderer Form sitzen
mehrere Mitglieder seiner Familie usw. Zu diesem Tisch fällt ihm ein, daß er ein solches
Möbelstück bei einem Besuch bei einer bestimmten Familie gesehen hat. Dann setzen sich seine
Gedanken fort: In dieser Familie hat es ein besonderes Verhältnis zwischen Vater und Sohn
gegeben, und bald setzt er hinzu, daß es eigentlich zwischen ihm und seinem Vater ebenso steht.
Der Tisch ist also in den Traum aufgenommen, um diese Parallele zu bezeichnen.
Dieser Träumer war mit den Anforderungen der Traumdeutung längst vertraut. Ein anderer hätte
vielleicht Anstoß daran genommen, daß ein so geringfügiges Detail wie die Form eines Tisches
zum Objekt der Nachforschung genommen wird. Wir erklären wirklich nichts im Traum für
zufällig oder gleichgültig und erwarten uns Aufschluß gerade von der Aufklärung so
geringfügiger unmotivierter Details. Sie werden sich vielleicht noch darüber verwundern, daß die
Traumarbeit den Gedanken »bei uns geht es ebenso zu wie bei denen« gerade durch die Auswahl
des Tisches zum Ausdruck bringt. Aber auch das erklärt sich, wenn Sie hören, daß die
betreffende Familie den Namen: Tischler trägt. Indem der Träumer seine Angehörigen an diesem
Tisch Platz nehmen läßt, sagt er, sie seien auch Tischler. Bemerken Sie übrigens, wie man
notgedrungen bei der Mitteilung solcher Traumdeutungen indiskret werden muß. Sie haben damit
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin