Seite - 73 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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brauchen.
Eine vierte Art der Beziehung zwischen manifestem und latentem Element muß ich Ihnen noch
verschweigen, bis ihr Stichwort in der Technik gefallen ist. Ich werde Ihnen auch dann keine
vollständige Aufzählung gegeben haben, aber es reicht so für unsere Zwecke aus.
Haben Sie nun den Mut, die Deutung eines ganzen Traumes zu wagen? Machen wir den Versuch,
ob wir für diese Aufgabe gut genug ausgerüstet sind. Ich werde natürlich keinen der dunkelsten
wählen, aber doch einen, der die Eigenschaften eines Traumes in guter Ausprägung zeigt.
Also eine junge, aber schon seit vielen Jahren verheiratete Dame träumt: Sie sitzt mit ihrem
Manne im Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und
ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, 3 für 1 fl.
50 kr., und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.
Das erste, was uns die Träumerin berichtet, ist, daß der Anlaß zum Traum im manifesten Inhalt
desselben berührt wird. Ihr Mann hatte ihr wirklich erzählt, daß Elise L., eine ungefähr
gleichaltrige Bekannte, sich jetzt verlobt hat. Der Traum ist die Reaktion auf diese Mitteilung.
Wir wissen bereits, daß es für viele Träume leicht wird, einen solchen Anlaß vom Vortag für sie
nachzuweisen, und daß diese Herleitungen vom Träumer oft ohne Schwierigkeiten angegeben
werden. Auskünfte derselben Art stellt uns die Träumerin auch für andere Elemente des
manifesten Traumes zur Verfügung. Woher das Detail, daß eine Seite des Parketts unbesetzt ist?
Es ist eine Anspielung auf eine reale Begebenheit der vorigen Woche. Sie hatte sich
vorgenommen, in eine gewisse Theatervorstellung zu gehen, und darum frühzeitig Karten
genommen, so früh, daß sie Vorverkaufsgebühr zahlen mußte. Als sie ins Theater kamen, zeigte
es sich, wie überflüssig ihre Sorge gewesen war, denn eine Seite des Parketts war fast leer. Es
wäre Zeit gewesen, wenn sie die Karten am Tage der Vorstellung selbst gekauft hätte. Ihr Mann
unterließ es auch nicht, sie wegen dieser Voreiligkeit zu necken. – Woher die 1 fl. 50 kr.? Aus
einem ganz anderen Zusammenhange, der mit dem vorigen nichts zu tun hat, aber gleichfalls auf
eine Nachricht vom letzten Tage anspielt. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Mann die Summe von
150 fl. zum Geschenk bekommen und hatte nichts Eiligeres zu tun, die dumme Gans, als zum
Juwelier zu laufen und das Geld gegen ein Schmuckstück einzutauschen. – Woher die 3? Dazu
weiß sie nichts, wenn man nicht etwa den Einfall gelten lassen will, daß die Braut, Elise L., nur
um 3 Monate jünger ist als sie, die seit fast zehn Jahren verheiratete Frau. Und der Unsinn, daß
man drei Karten nimmt, wenn man nur zu zweien ist? Dazu sagt sie nichts, verweigert überhaupt
alle weiteren Einfälle und Auskünfte.
Sie hat uns aber doch so viel Material in ihren wenigen Einfällen zugetragen, daß daraus das
Erraten der latenten Traumgedanken möglich wird. Es muß auffallen, daß in ihren Mitteilungen
zum Traum an mehreren Stellen Zeitbestimmungen hervortreten, die eine Gemeinsamkeit
zwischen verschiedenen Partien des Materials begründen. Sie hat die Eintrittskarten ins Theater
zu früh besorgt, voreilig genommen, so daß sie sie überzahlen mußte; die Schwägerin hat sich in
ähnlicher Weise beeilt, ihr Geld zum Juwelier zu tragen, um sich einen Schmuck dafür zu kaufen,
als ob sie es versäumen würde. Nehmen wir zu dem so betonten »zu früh«, »voreilig« die
Veranlassung des Traumes hinzu, die Nachricht, daß die nur um 3 Monate jüngere Freundin jetzt
doch einen tüchtigen Mann bekommen hat, und die in dem Schimpf auf die Schwägerin
ausgedrückte Kritik: es sei unsinnig, sich so zu übereilen, so tritt uns wie spontan folgende
Konstruktion der latenten Traumgedanken entgegen, für welche der manifeste Traum ein arg
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin