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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 76 -
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Seite - 76 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

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bezeugt. Von der Wohnung in Aussee war der Dachstein schön zu sehen und mit dem Fernrohr konnte man die Simonyhütte auf demselben ausnehmen. Das Kind hatte sich wiederholt bemüht, sie durchs Fernrohr zu erblicken; es war unbekannt geblieben, mit welchem Erfolge. Der Ausflug begann in erwartungsvoll heiterer Stimmung. So oft ein neuer Berg in Sicht kam, fragte der Knabe: Ist das der Dachstein? Er wurde immer mehr verstimmt, je öfter man ihm diese Frage verneint hatte, verstummte später ganz und wollte einen kleinen Steig zum Wasserfall nicht mitmachen. Man hielt ihn für übermüdet, aber am nächsten Morgen erzählte er ganz selig: Heute nachts habe ich geträumt, daß wir auf der Simonyhütte gewesen sind. In dieser Erwartung hatte er sich also an dem Ausflug beteiligt. Von Einzelheiten gab er nur an, was er vorher gehört hatte: Man geht sechs Stunden lang auf Stufen hinauf. Diese drei Träume werden für alle gewünschten Auskünfte hinreichen. 2. Wir sehen, diese Kinderträume sind nicht sinnlos; es sind verständliche, vollgültige, seelische Akte. Erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen als das medizinische Urteil über den Traum vorgestellt habe, an das Gleichnis von den musikunkundigen Fingern, die über die Tasten des Klaviers hinfahren. Es wird Ihnen nicht entgehen, wie scharf sich diese Kinderträume dieser Auffassung widersetzen. Es wäre aber auch zu sonderbar, wenn gerade das Kind im Schlafe volle seelische Leistungen zustande brächte, wo sich der Erwachsene im gleichen Falle mit zuckungsartigen Reaktionen begnügt. Wir haben auch allen Grund, dem Kinde den besseren und tieferen Schlaf zuzutrauen. 3. Diese Träume entbehren der Traumentstellung; bedürfen darum auch keiner Deutungsarbeit. Manifester und latenter Traum fallen hier zusammen. Die Traumentstellung gehört also nicht zum Wesen des Traumes. Ich darf annehmen, daß Ihnen damit ein Stein vom Herzen fällt. Aber ein Stückchen Traumentstellung, eine gewisse Differenz zwischen dem manifesten Trauminhalt und den latenten Traumgedanken werden wir bei näherer Überlegung auch diesen Träumen zugestehen. 4. Der Kindertraum ist die Reaktion auf ein Erlebnis des Tages, welches ein Bedauern, eine Sehnsucht, einen unerledigten Wunsch zurückgelassen hat. Der Traum bringt die direkte, unverhüllte Erfüllung dieses Wunsches. Denken Sie nun an unsere Erörterungen über die Rolle körperlicher Reize von außen oder von innen als Schlafstörer und Anreger der Träume. Wir sind mit ganz sicheren Tatsachen darüber bekannt geworden, konnten uns aber nur eine kleine Anzahl von Träumen auf solche Art erklären. In diesen Kinderträumen deutet nichts auf die Einwirkung solcher somatischer Reize; wir können darin nicht irregehen, denn die Träume sind voll verständlich und leicht zu übersehen. Aber darum brauchen wir die Reizätiologie des Traumes nicht aufzugeben. Wir können nur fragen, warum haben wir von Anfang an vergessen, daß es außer den körperlichen auch seelische schlafstörende Reize gibt? Wir wissen doch, daß es diese Erregungen sind, welche die Schlafstörung des Erwachsenen zumeist verschulden, indem sie ihn daran verhindern, die seelische Verfassung des Einschlafens, die Abziehung des Interesses von der Welt, bei sich herzustellen. Er möchte das Leben nicht unterbrechen, sondern lieber die Arbeit an den Dingen, die ihn beschäftigen, fortsetzen, und darum schläft er nicht. Ein solcher seelischer, den Schlaf störender Reiz ist also für das Kind der unerledigte Wunsch, auf welchen es mit dem Traum reagiert. 5. Von hier erhalten wir auf dem kürzesten Wege Aufschluß über die Funktion des Traumes. Der Traum als Reaktion auf den psychischen Reiz muß den Wert einer Erledigung dieses Reizes 76
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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