Seite - 79 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Durst, das Sexualbedürfnis, also Wunscherfüllungen als Reaktionen auf innere Körperreize. So
habe ich von einem 19 Monate alten Mädchen einen Traum notiert, der aus einem Menü unter
Hinzufügung ihres Namens bestand (Anna F…., Er(d)beer, Hochbeer, Eier(s)peis, Papp) als
Reaktion auf einen Hungertag wegen gestörter Verdauung, welche Erkrankung gerade auf die im
Traum zweimal auftretende Frucht zurückgeführt worden war. Gleichzeitig mußte auch die
Großmutter, deren Alter das der Enkelin eben zu siebzig ergänzte, infolge der Unruhe ihrer
Wanderniere einen Tag lang fasten, und sie träumte in derselben Nacht, daß sie ausgebeten (zu
Gaste) sei und die besten Leckerbissen vorgesetzt erhalte. Beobachtungen an Gefangenen, die
man hungern läßt, und an Personen, die auf Reisen und Expeditionen Entbehrungen zu ertragen
haben, lehren, daß unter diesen Bedingungen regelmäßig von der Befriedigung dieser
Bedürfnisse geträumt wird. So berichtet Otto Nordenskjöld in seinem Buche Antarctic (1904)
über die mit ihm überwinterte Mannschaft (Bd. 1, 336
f.): »Sehr bezeichnend für die Richtung
unserer innersten Gedanken waren unsere Träume, die nie lebhafter und zahlreicher waren als
gerade jetzt. Selbst diejenigen unserer Kameraden, die sonst nur ausnahmsweise träumten, hatten
jetzt des Morgens, wenn wir unsere letzten Erfahrungen aus dieser Phantasiewelt miteinander
austauschten, lange Geschichten zu erzählen. Alle handelten sie von jener äußeren Welt, die uns
jetzt so fern lag, waren aber oft unseren jetzigen Verhältnissen angepaßt… Essen und Trinken
waren übrigens die Mittelpunkte, um die sich unsere Träume am häufigsten drehten. Einer von
uns, der nächtlicherweise darin exzellierte, auf große Mittagsgesellschaften zu gehen, war
seelenfroh, wenn er des Morgens berichten konnte, ›daß er ein Diner von drei Gängen
eingenommen habe‹; ein anderer träumte von Tabak, von ganzen Bergen Tabak; wieder andere
von dem Schiff, das mit vollen Segeln auf dem offenen Wasser daherkam. Noch ein anderer
Traum verdient der Erwähnung: Der Briefträger kommt mit der Post und gibt eine lange
Erklärung, warum diese so lange habe auf sich warten lassen, er habe sie verkehrt abgeliefert und
erst nach großer Mühe sei es ihm gelungen, sie wiederzuerlangen. Natürlich beschäftigte man
sich im Schlaf mit noch unmöglicheren Dingen, aber der Mangel an Phantasie in fast allen
Träumen, die ich selbst träumte oder erzählen hörte, war ganz auffallend. Es würde sicher von
großem psychologischen Interesse sein, wenn alle diese Träume aufgezeichnet würden. Man wird
aber leicht verstehen können, wie ersehnt der Schlaf war, da er uns alles bieten konnte, was ein
jeder von uns am glühendsten begehrte.« Nach Du Prel zitiere ich noch: »Mungo Park, auf einer
Reise in Afrika dem Verschmachten nahe, träumte ohne Aufhören von wasserreichen Tälern und
Auen seiner Heimat. So sah sich auch der von Hunger gequälte Trenck in der Sternschanze zu
Magdeburg von üppigen Mahlzeiten umgeben, und George Back, Teilnehmer der ersten
Expedition Franklins, als er infolge furchtbarer Entbehrungen dem Hungertode nahe war, träumte
stets und gleichmäßig von reichen Mahlzeiten.«
Wer sich durch den Genuß scharf gewürzter Speisen zur Abendmahlzeit nächtlichen Durst
erzeugt, der träumt dann leicht, daß er trinke. Es ist natürlich unmöglich, ein stärkeres Eß- oder
Trinkbedürfnis durch den Traum zu erledigen; man wacht aus solchen Träumen durstig auf und
muß nun reales Wasser zu sich nehmen. Die Leistung des Traumes ist in diesem Falle praktisch
geringfügig, aber es ist nicht minder klar, daß sie zu dem Zweck aufgeboten wurde, den Schlaf
gegen den zum Erwachen und zur Handlung drängenden Reiz festzuhalten. Über geringere
Intensitäten dieser Bedürfnisse helfen die Befriedigungsträume oftmals hinweg.
Ebenso schafft der Traum unter dem Einfluß der Sexualreize Befriedigungen, die aber
erwähnenswerte Besonderheiten zeigen. Infolge der Eigenschaft des Sexualtriebs, von seinem
Objekt um einen Grad weniger abhängig zu sein als Hunger und Durst, kann die Befriedigung im
Pollutionstraum eine reale sein, und infolge gewisser später zu erwähnender Schwierigkeiten in
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin