Seite - 84 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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vorhinein geübte Rücksicht auf die Zensur erraten können.
Nun, wir halten diese Parallele fest. Wir sagen, auch die ausgelassenen, durch ein Gemurmel
verhüllten Traumreden sind einer Zensur zum Opfer gebracht worden. Wir sprechen direkt von
einer Traumzensur, der ein Stück Anteil an der Traumentstellung zuzuschreiben ist. Überall, wo
Lücken im manifesten Traum sind, hat die Traumzensur sie verschuldet. Wir sollten auch
weitergehen und eine Äußerung der Zensur jedesmal dort erkennen, wo ein Traumelement
besonders schwach, unbestimmt und zweifelhaft unter anderen, deutlicher ausgebildeten erinnert
wird. Aber nur selten äußert sich diese Zensur so unverhohlen, so naiv, möchte man sagen, wie in
dem Beispiel des Traumes von den »Liebesdiensten«. Weit öfter bringt sich die Zensur nach dem
zweiten Typus zur Geltung, durch die Produktion von Abschwächungen, Annäherungen,
Anspielungen an Stelle des Eigentlichen.
Für eine dritte Wirkungsweise der Traumzensur weiß ich keine Parallele aus dem Walten der
Zeitungszensur; ich kann aber gerade diese an dem einzigen bisher analysierten Traumbeispiel
demonstrieren. Sie erinnern sich an den Traum von den »drei schlechten Theaterkarten für
1 fl. 50«. In den latenten Gedanken dieses Traumes stand das Element »voreilig, zu früh« im
Vordergrunde. Es hieß: Es war ein Unsinn, so früh zu heiraten – es war auch unsinnig, sich so
früh Theaterkarten zu besorgen –, es war lächerlich von der Schwägerin, ihr Geld so eilig
auszugeben, um sich dafür einen Schmuck zu kaufen. Von diesem zentralen Element der
Traumgedanken ist nichts in den manifesten Traum übergegangen; hier ist das Ins-Theater-Gehen
und Karten-Bekommen in den Mittelpunkt gerückt. Durch diese Verschiebung des Akzents, diese
Umgruppierung der Inhaltselemente, wird der manifeste Traum den latenten Traumgedanken so
unähnlich, daß niemand diese letzteren hinter dem ersteren vermuten würde. Diese
Akzentverschiebung ist ein Hauptmittel der Traumentstellung und gibt dem Traum jene
Fremdartigkeit, deren wegen ihn der Träumer selbst nicht als seine eigene Produktion anerkennen
möchte.
Auslassung, Modifikation, Umgruppierung des Materials sind also die Wirkungen der
Traumzensur und die Mittel der Traumentstellung, Die Traumzensur selbst ist der Urheber oder
einer der Urheber der Traumentstellung, deren Untersuchung uns jetzt beschäftigt. Modifikation
und Umordnung sind wir auch gewohnt, als »Verschiebung« zusammenzufassen.
Nach diesen Bemerkungen über die Wirkungen der Traumzensur wenden wir uns nun ihrem
Dynamismus zu. Ich hoffe, Sie nehmen den Ausdruck nicht allzu anthropomorph und stellen sich
unter dem Traumzensor nicht ein kleines gestrenges Männlein oder einen Geist vor, der in einem
Gehirnkämmerlein wohnt und dort seines Amtes waltet, aber auch nicht allzu lokalisatorisch, so
daß Sie an ein »Gehirnzentrum« denken, von dem ein solcher zensurierender Einfluß ausgeht,
welcher mit der Beschädigung oder Entfernung dieses Zentrums aufgehoben wäre. Es ist
vorläufig nichts weiter als ein gut brauchbarer Terminus für eine dynamische Beziehung. Dieses
Wort hindert uns nicht zu fragen, von welchen Tendenzen solcher Einfluß geübt wird und auf
welche; wir werden auch nicht überrascht sein zu erfahren, daß wir schon früher einmal auf die
Traumzensur gestoßen sind, vielleicht ohne sie zu erkennen.
Das ist nämlich wirklich der Fall gewesen. Erinnern Sie sich, daß wir eine überraschende
Erfahrung machten, als wir unsere Technik der freien Assoziation anzuwenden begannen. Wir
bekamen da zu spüren, daß sich unseren Bemühungen, vom Traumelement zum unbewußten
Element zu gelangen, dessen Ersatz es ist, ein Widerstand entgegenstellte. Dieser Widerstand,
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin