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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 85 -
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sagten wir, kann verschieden groß sein, das eine Mal riesig, das andere Mal recht geringfügig. Im letzteren Falle brauchen wir für unsere Deutungsarbeit nur wenige Zwischenglieder zu passieren; wenn er aber groß ist, dann haben wir lange Assoziationsketten vom Element her zu durchmessen, werden weit von diesem weggeführt und müssen unterwegs alle die Schwierigkeiten überwinden, die sich als kritische Einwendungen gegen den Einfall ausgeben. Was uns bei der Deutungsarbeit als Widerstand entgegentritt, das müssen wir nun als Traumzensur in die Traumarbeit eintragen. Der Deutungswiderstand ist nur die Objektivierung der Traumzensur. Er beweist uns auch, daß die Kraft der Zensur sich nicht damit erschöpft hat, die Traumentstellung herbeizuführen, und seither erloschen ist, sondern daß diese Zensur als dauernde Institution mit der Absicht, die Entstellung aufrechtzuhalten, fortbesteht. Übrigens wie der Widerstand bei der Deutung für jedes Element in seiner Stärke wechselte, so ist auch die durch Zensur herbeigeführte Entstellung in demselben Traume für jedes Element verschieden groß ausgefallen. Vergleicht man manifesten und latenten Traum, so sieht man, einzelne latente Elemente sind völlig eliminiert worden, andere mehr oder weniger modifiziert, und noch andere sind unverändert, ja vielleicht verstärkt in den manifesten Trauminhalt hinübergenommen worden. Wir wollten aber untersuchen, welche Tendenzen die Zensur ausüben und gegen welche. Nun diese für das Verständnis des Traumes, ja vielleicht des Menschenlebens, fundamentale Frage ist, wenn wir die Reihe der zur Deutung gelangten Träume überblicken, leicht zu beantworten. Die Tendenzen, welche die Zensur ausüben, sind solche, welche vom wachen Urteilen des Träumers anerkannt werden, mit denen er sich einig fühlt. Seien Sie versichert, wenn Sie eine korrekt durchgeführte Deutung eines eigenen Traumes ablehnen, so tun Sie es aus denselben Motiven, mit denen die Traumzensur geübt, die Traumentstellung produziert und die Deutung notwendig gemacht wurde. Denken Sie an den Traum unserer 50jährigen Dame. Sie findet ihren Traum, ohne ihn gedeutet zu haben, abscheulich, würde noch entrüsteter gewesen sein, wenn ihr Frau Dr. v. Hug etwas von der unerläßlichen Deutung mitgeteilt hätte, und eben dieser Verurteilung wegen haben sich in ihrem Traum die anstößigsten Stellen durch ein Gemurmel ersetzt. Die Tendenzen aber, gegen welche sich die Traumzensur richtet, muß man zunächst vom Standpunkt dieser Instanz selbst beschreiben. Dann kann man nur sagen, sie seien durchaus verwerflicher Natur, anstößig in ethischer, ästhetischer, sozialer Hinsicht, Dinge, an die man gar nicht zu denken wagt oder nur mit Abscheu denkt. Vor allem sind diese zensurierten und im Traum zu einem entstellten Ausdruck gelangten Wünsche Äußerungen eines schranken- und rücksichtslosen Egoismus. Und zwar kommt das eigene Ich in jedem Traum vor und spielt in jedem die Hauptrolle, auch wenn es sich für den manifesten Inhalt gut zu verbergen weiß. Dieser »sacro egoismo« des Traumes ist gewiß nicht außer Zusammenhang mit der Einstellung zum Schlafen, die ja in der Abziehung des Interesses von der ganzen Außenwelt besteht. Das aller ethischen Fesseln entledigte Ich weiß sich auch einig mit allen Ansprüchen des Sexualstrebens, solchen, die längst von unserer ästhetischen Erziehung verurteilt worden sind, und solchen, die allen sittlichen Beschränkungsforderungen widersprechen. Das Lustbestreben – die Libido, wie wir sagen – wählt seine Objekte hemmungslos, und zwar die verbotenen am liebsten. Nicht nur das Weib des anderen, sondern vor allem inzestuöse, durch menschliche Übereinkunft geheiligte Objekte, die Mutter und die Schwester beim Manne, den Vater und den Bruder beim Weibe. (Auch der Traum unserer 50jährigen Dame ist ein inzestuöser, seine Libido unverkennbar auf den Sohn gerichtet.) Gelüste, die wir ferne von der menschlichen Natur glauben, zeigen sich stark genug, Träume zu erregen. Auch der Haß tobt sich schrankenlos aus. 85
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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