Seite - 90 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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sein konnten. Woher man ihre Bedeutung kennen müßte, das wird sich in der zweiten Hälfte
unserer Auseinandersetzung ergeben.
Eine solche konstante Beziehung zwischen einem Traumelement und seiner Übersetzung heißen
wir eine symbolische, das Traumelement selbst ein Symbol des unbewußten Traumgedankens. Sie
erinnern sich, daß ich früher, bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen Traumelementen
und ihren Eigentlichen drei solcher Beziehungen unterschieden habe, die des Teils vom Ganzen,
die der Anspielung und die der Verbildlichung. Eine vierte habe ich Ihnen damals angekündigt,
aber nicht genannt. Diese vierte ist nun die hier eingeführte symbolische. An sie knüpfen sich
sehr interessante Diskussionen, denen wir uns zuwenden wollen, ehe wir unsere speziellen
Beobachtungen über Symbolik darlegen. Die Symbolik ist vielleicht das merkwürdigste Kapitel
der Traumlehre.
Vor allem: Indem die Symbole feststehende Übersetzungen sind, realisieren sie im gewissen
Ausmaße das Ideal der antiken wie der populären Traumdeutung, von dem wir uns durch unsere
Technik weit entfernt hatten. Sie gestatten uns unter Umständen, einen Traum zu deuten, ohne
den Träumer zu befragen, der ja zum Symbol ohnedies nichts zu sagen weiß. Kennt man die
gebräuchlichen Traumsymbole und dazu die Person des Träumers, die Verhältnisse, unter denen
er lebt, und die Eindrücke, nach welchen der Traum vorgefallen ist, so ist man oft in der Lage,
einen Traum ohne weiteres zu deuten, ihn gleichsam vom Blatt weg zu übersetzen. Ein solches
Kunststück schmeichelt dem Traumdeuter und imponiert dem Träumer; es sticht wohltuend von
der mühseligen Arbeit beim Ausfragen des Träumers ab. Lassen Sie sich aber hierdurch nicht
verführen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Kunststücke zu machen. Die auf Symbolkenntnis
beruhende Deutung ist keine Technik, welche die assoziative ersetzen oder sich mit ihr messen
kann. Sie ist eine Ergänzung zu ihr und liefert nur in sie eingefügt brauchbare Resultate. Was
aber die Kenntnis der psychischen Situation des Träumers betrifft, so wollen Sie erwägen, daß
Sie nicht nur Träume von gut Bekannten zur Deutung bekommen, daß Sie in der Regel die
Tagesereignisse, welche die Traumerreger sind, nicht kennen, und daß die Einfälle des
Analysierten Ihnen gerade die Kenntnis dessen, was man die psychische Situation heißt,
zutragen.
Es ist ferner ganz besonders merkwürdig, auch mit Rücksicht auf später zu erwähnende
Zusammenhänge, daß gegen die Existenz der Symbolbeziehung zwischen Traum und
Unbewußtem wiederum die heftigsten Widerstände laut geworden sind. Selbst Personen von
Urteil und Ansehen, die sonst ein weites Stück Weges mit der Psychoanalyse gegangen sind,
haben hier die Gefolgschaft versagt. Um so merkwürdiger aber ist dies Verhalten, als erstens die
Symbolik nicht allein dem Traum eigentümlich oder für ihn charakteristisch ist, und zweitens die
Symbolik im Traume gar nicht von der Psychoanalyse entdeckt wurde, wiewohl diese sonst nicht
arm an überraschenden Entdeckungen ist. Als Entdecker der Traumsymbolik ist, wenn man ihr
überhaupt einen Anfang in modernen Zeiten zuschreiben will, der Philosoph K. A. Scherner
(1861) zu nennen. Die Psychoanalyse hat die Funde Scherners bestätigt und in allerdings
einschneidender Weise modifiziert.
Nun werden Sie etwas vom Wesen der Traumsymbolik und Beispiele für sie hören wollen. Ich
will Ihnen gerne mitteilen, was ich weiß, aber ich gestehe Ihnen, daß unser Verständnis nicht so
weit reicht, wie wir gerne möchten.
Das Wesen der Symbolbeziehung ist ein Vergleich, aber nicht ein beliebiger. Man ahnt für diesen
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin