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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 105 -
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gebracht werden soll. Der Ihnen bekannte Traum vom Theaterbesuch (drei Karten für 1 fl. 50 kr.) ist ein gutes Beispiel dafür. Das so ausgedrückte Urteil lautet: Es war ein Unsinn, so früh zu heiraten. Ebenso erfahren wir bei der Deutungsarbeit, was den so häufig vom Träumer mitgeteilten Zweifeln und Unsicherheiten entspricht, ob ein gewisses Element im Traume vorgekommen, ob es dies oder nicht vielmehr etwas anderes gewesen sei. Diesen Zweifeln und Unsicherheiten entspricht in der Regel in den latenten Traumgedanken nichts; sie rühren durchwegs von der Wirkung der Traumzensur her und sind einer versuchten, nicht voll gelungenen Ausmerzung gleichzusetzen. Zu den überraschendsten Funden gehört die Art, wie die Traumarbeit Gegensätzlichkeiten des latenten Traumes behandelt. Wir wissen schon, daß Übereinstimmungen im latenten Material durch Verdichtungen im manifesten Traum ersetzt werden. Nun, Gegensätze werden ebenso behandelt wie Übereinstimmungen, mit besonderer Vorliebe durch das nämliche manifeste Element ausgedrückt. Ein Element im manifesten Traum, welches eines Gegensatzes fähig ist, kann also ebensowohl sich selbst bedeuten wie seinen Gegensatz oder beides zugleich; erst der Sinn kann darüber entscheiden, welche Übersetzung zu wählen ist. Damit hängt es dann zusammen, daß eine Darstellung des »Nein« im Traume nicht zu finden ist, wenigstens keine unzweideutige. Eine willkommene Analogie für dies befremdende Benehmen der Traumarbeit hat uns die Sprachentwicklung geliefert. Manche Sprachforscher haben die Behauptung aufgestellt, daß in den ältesten Sprachen Gegensätze wie stark–schwach, licht–dunkel, groß–klein durch das nämliche Wurzelwort ausgedrückt wurden. (»Der Gegensinn der Urworte«.) So hieß im Altägyptischen ken ursprünglich stark und schwach. In der Rede schützte man sich vor Mißverständnissen beim Gebrauch so ambivalenter Worte durch den Ton und die beigefügte Geste, in der Schrift durch die Hinzufügung eines sogenannten Determinativs, d.  h. eines Bildes, das selbst nicht zur Aussprache bestimmt war. Ken – stark wurde also geschrieben, indem nach den Buchstabenzeichen das Bild eines aufrechten Männchens hingesetzt wurde; wenn ken – schwach gemeint war, so folgte das Bild eines nachlässig hockenden Mannes nach. Erst später wurden durch leichte Modifikationen des gleichlautenden Urwortes zwei Bezeichnungen für die darin enthaltenen Gegensätze gewonnen. So entstand aus ken stark–schwach ein ken stark und ein kan schwach. Nicht nur die ältesten Sprachen in ihren letzten Entwicklungen, sondern auch weit jüngere und selbst heute noch lebende Sprachen sollen reichlich Überreste dieses alten Gegensinnes bewahrt haben. Ich will Ihnen einige Belege hierfür nach K. Abel (1884) mitteilen. Im Lateinischen sind solche immer noch ambivalente Worte: altus (hoch–tief) und sacer (heilig–verrucht). Als Beispiele für Modifikationen derselben Wurzel erwähne ich: clamare – schreien, clam – leise, still, geheim; siccus – trocken, succus – Saft. Dazu aus dem Deutschen: Stimme – stumm. Bezieht man verwandte Sprachen aufeinander, so ergeben sich reichliche Beispiele. Englisch: lock – schließen; deutsch: Loch, Lücke. Englisch: cleave – spalten; deutsch: kleben. Das englische without eigentlich mit–ohne wird heute für ohne verwendet; daß with außer seiner zuteilenden auch eine entziehende Bedeutung hatte, geht noch aus den Zusammensetzungen withdraw – withhold hervor. Ähnlich das deutsche wieder. 105
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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