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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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notwendigerweise, oft offenkundig nicht. Es ist unzweifelhaft, daß es in ihnen seine Konkurrenten haßt, und es ist bekannt, wie häufig diese Einstellung durch lange Jahre bis zur Zeit der Reife, ja noch späterhin ohne Unterbrechung anhält. Sie wird ja häufig genug durch eine zärtlichere abgelöst oder sagen wir lieber: überlagert, aber die feindselige scheint sehr regelmäßig die frühere zu sein. Am leichtesten kann man sie an Kindern von 2½ bis 4 und 5 Jahren beobachten, wenn ein neues Geschwisterchen dazukommt. Das hat meist einen sehr unfreundlichen Empfang. Äußerungen wie »ich mag es nicht, der Storch soll es wieder mitnehmen« sind recht gewöhnlich. In der Folge wird jede Gelegenheit benützt, um den Ankömmling herabzusetzen, und selbst Versuche, ihn zu schädigen, direkte Attentate, sind nichts Unerhörtes. Ist die Altersdifferenz geringer, so findet das Kind beim Erwachen intensiverer Seelentätigkeit den Konkurrenten bereits vor und richtet sich mit ihm ein. Ist sie größer, so kann das neue Kind von Anfang an als ein interessantes Objekt, als eine Art von lebender Puppe, gewisse Sympathien erwecken, und bei einem Altersunterschied von acht Jahren und mehr können bereits, besonders bei den Mädchen, vorsorgliche mütterliche Regungen ins Spiel treten. Aber aufrichtig gesagt, wenn man den Wunsch nach dem Tode der Geschwister hinter einem Traume aufdeckt, braucht man ihn selten rätselhaft zu finden und weist sein Vorbild mühelos im frühen Kindesalter, oft genug auch in späteren Jahren des Beisammenseins nach. Es gibt wahrscheinlich keine Kinderstube ohne heftige Konflikte zwischen deren Einwohnern. Motive sind die Konkurrenz um die Liebe der Eltern, um den gemeinsamen Besitz, um den Wohnraum. Die feindseligen Regungen richten sich gegen ältere wie gegen jüngere Geschwister. Ich glaube es war Bernard Shaw, der das Wort ausgesprochen hat: Wenn es jemand gibt, den eine junge englische Dame mehr haßt als ihre Mutter, so ist es ihre ältere Schwester. An diesem Ausspruch ist aber etwas, was uns befremdet. Geschwisterhaß und Konkurrenz fänden wir zur Not begreiflich, aber wie sollen sich Haßempfindungen in das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter, Eltern und Kinder, eindrängen können? Dies Verhältnis ist ohne Zweifel auch von Seite der Kinder betrachtet das günstigere. So fordert es auch unsere Erwartung; wir finden es weit anstößiger, wenn die Liebe zwischen Eltern und Kindern, als wenn sie zwischen Geschwistern mangelt. Wir haben sozusagen im ersten Falle etwas geheiligt, was wir am andern Falle profan gelassen haben. Doch kann uns die tägliche Beobachtung zeigen, wie häufig die Gefühlsbeziehungen zwischen Eltern und erwachsenen Kindern hinter dem von der Gesellschaft aufgestellten Ideal zurückbleiben, wieviel Feindseligkeit da bereitliegt und sich äußern würde, wenn nicht Zusätze von Pietät und von zärtlichen Regungen sie zurückhielten. Die Motive hierfür sind allgemein bekannt und zeigen eine Tendenz, die gleichen Geschlechter voneinander zu trennen, die Tochter von der Mutter, den Vater vom Sohn. Die Tochter findet in der Mutter die Autorität, welche ihren Willen beschränkt und mit der Aufgabe betraut ist, den von der Gesellschaft geforderten Verzicht auf Sexualfreiheit bei ihr durchzusetzen, in einzelnen Fällen auch noch die Konkurrentin, die der Verdrängung widerstrebt. Dasselbe wiederholt sich in noch grellerer Weise zwischen Sohn und Vater. Für den Sohn verkörpert sich im Vater jeder widerwillig ertragene soziale Zwang; der Vater versperrt ihm den Zugang zur Willensbetätigung, zum frühzeitigen Sexualgenuß und, wo gemeinsame Familiengüter bestehen, zum Genuß derselben. Das Lauern auf den Tod des Vaters wächst im Falle des Thronfolgers zu einer das Tragische streifenden Höhe. Minder gefährdet erscheint das Verhältnis zwischen Vater und Tochter, Mutter und Sohn. Das letztere gibt die reinsten Beispiele einer durch keinerlei egoistische Rücksicht gestörten, unwandelbaren Zärtlichkeit. Wozu ich von diesen Dingen spreche, die doch banal und allgemein bekannt sind? Weil eine 121
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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