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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 122 -
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unverkennbare Neigung besteht, ihre Bedeutung im Leben zu verleugnen und das sozial geforderte Ideal weit öfter für erfüllt auszugeben, als es wirklich erfüllt wird. Es ist aber besser, daß der Psychologe die Wahrheit sagt, als daß diese Aufgabe dem Zyniker überlassen bleibt. Allerdings bezieht sich diese Verleugnung nur auf das reale Leben. Der Kunst der erzählenden und der dramatischen Dichtung bleibt es freigestellt, sich der Motive zu bedienen, die aus der Störung dieses Ideals hervorgehen. Bei einer großen Anzahl von Menschen brauchen wir uns also nicht zu verwundern, wenn der Traum ihren Wunsch nach Beseitigung der Eltern, speziell des gleichgeschlechtlichen Elternteiles, aufdeckt. Wir dürfen annehmen, er ist auch im Wachleben vorhanden und wird sogar manchmal bewußt, wenn er sich durch ein anderes Motiv maskieren kann, wie im Falle unseres Träumers im Beispiele 3 durch das Mitleid mit dem unnützen Leiden des Vaters: Selten beherrscht die Feindseligkeit das Verhältnis allein, weit häufiger tritt sie hinter zärtlicheren Regungen zurück, von denen sie unterdrückt wird, und muß warten, bis ein Traum sie gleichsam isoliert. Was uns der Traum infolge solcher Isolierung übergroß zeigt, das schrumpft dann wieder zusammen, wenn es nach der Deutung von uns in den Zusammenhang des Lebens eingereiht wird (H. Sachs). Wir finden diesen Traumwunsch aber auch dort, wo er im Leben keinen Anhalt hat und wo der Erwachsene sich im Wachen nie zu ihm bekennen müßte. Dies hat seinen Grund darin, daß das tiefste und regelmäßigste Motiv zur Entfremdung, besonders zwischen den gleichgeschlechtlichen Personen, sich bereits im frühen Kindesalter geltend gemacht hat. Ich meine die Liebeskonkurrenz mit deutlicher Betonung des Geschlechtscharakters. Der Sohn beginnt schon als kleines Kind eine besondere Zärtlichkeit für die Mutter zu entwickeln, die er als sein eigen betrachtet, und den Vater als Konkurrenten zu empfinden, der ihm diesen Alleinbesitz streitig macht, und ebenso sieht die kleine Tochter in der Mutter eine Person, die ihre zärtliche Beziehung zum Vater stört und einen Platz einnimmt, den sie sehr gut selbst ausfüllen könnte. Man muß aus den Beobachtungen erfahren, in wie frühe Jahre diese Einstellungen zurückreichen, die wir als Ödipuskomplex bezeichnen, weil diese Sage die beiden extremen Wünsche, welche sich aus der Situation des Sohnes ergeben, den Vater zu töten und die Mutter zum Weib zu nehmen, mit einer ganz geringfügigen Abschwächung realisiert. Ich will nicht behaupten, daß der Ödipuskomplex die Beziehung der Kinder zu den Eltern erschöpft; diese kann leicht viel komplizierter sein. Auch ist der Ödipuskomplex mehr oder weniger stark ausgebildet, er kann selbst eine Umkehrung erfahren, aber er ist ein regelmäßiger und sehr bedeutsamer Faktor des kindlichen Seelenlebens, und man läuft eher Gefahr, seinen Einfluß und den der aus ihm hervorgehenden Entwicklungen zu unterschätzen, als ihn zu überschätzen. Übrigens reagieren die Kinder mit der Ödipuseinstellung häufig auf eine Anregung der Eltern, die sich in ihrer Liebeswahl oft genug vom Geschlechtsunterschied leiten lassen, so daß der Vater die Tochter, die Mutter den Sohn bevorzugt oder im Falle von Erkaltung in der Ehe zum Ersatz für das entwertete Liebesobjekt nimmt. Man kann nicht behaupten, daß die Welt der psychoanalytischen Forschung für die Aufdeckung des Ödipuskomplexes sehr dankbar gewesen ist. Diese hat im Gegenteile das heftigste Sträuben der Erwachsenen hervorgerufen, und Personen, die es versäumt hatten, an der Ableugnung dieser verpönten oder tabuierten Gefühlsbeziehung teilzunehmen, haben ihr Verschulden später gutgemacht, indem sie dem Komplex durch Umdeutungen seinen Wert entzogen. Nach meiner unveränderten Überzeugung ist dahier nichts zu verleugnen und nichts zu beschönigen. Man befreunde sich mit der Tatsache, die von der griechischen Sage selbst als unabwendbares Verhängnis anerkannt wird. Interessant ist es wiederum, daß der aus dem Leben herausgeworfene 122
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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