Seite - 127 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Bild der Seite - 127 -
Text der Seite - 127 -
ablehnende Haltung gegen die Theorie der Wunscherfüllung ist eigentlich nichts anderes als eine
Konsequenz der Traumzensur, ein Ersatz und ein Ausfluß der Ablehnung dieser zensurierten
Traumwünsche.
Natürlich werden auch wir das Bedürfnis haben, uns zu erklären, daß es so viele Träume mit
peinlichem Inhalt und besonders, daß es Angstträume gibt. Wir stoßen dabei zum erstenmal auf
das Problem der Affekte im Traum, welches ein Studium für sich verdiente, uns aber leider nicht
beschäftigen darf. Wenn der Traum eine Wunscherfüllung ist, so sollten peinliche Empfindungen
im Traume unmöglich sein; darin scheinen die Laienkritiker recht zu haben. Es kommen aber
dreierlei Komplikationen in Betracht, an welche diese nicht gedacht haben.
Erstens: es kann sein, daß es der Traumarbeit nicht voll gelungen ist, eine Wunscherfüllung zu
schaffen, so daß von dem peinlichen Affekt der Traumgedanken ein Anteil für den manifesten
Traum erübrigt wird. Die Analyse müßte dann zeigen, daß diese Traumgedanken noch weit
peinlicher waren als der aus ihnen gestaltete Traum. Soviel läßt sich auch jedesmal nachweisen.
Wir geben dann zu, die Traumarbeit hat ihren Zweck nicht erreicht, so wenig wie der Trinktraum
auf den Durstreiz seine Absicht erreicht, den Durst zu löschen. Man bleibt durstig und muß
erwachen, um zu trinken. Aber es war doch ein richtiger Traum, er hatte nichts von seinem
Wesen aufgegeben. Wir müssen sagen: Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas. Die klar zu
erkennende Absicht wenigstens bleibt lobenswert. Solche Fälle des Mißlingens sind kein seltenes
Vorkommnis. Es wirkt dazu mit, daß es der Traumarbeit soviel schwerer gelingt, Affekte als
Inhalte in ihrem Sinne zu verändern; die Affekte sind manchmal sehr resistent. So geschieht es
denn, daß die Traumarbeit den peinlichen Inhalt der Traumgedanken zu einer Wunscherfüllung
umgearbeitet hat, während sich der peinliche Affekt noch unverändert durchsetzt. In solchen
Träumen paßt der Affekt dann gar nicht zum Inhalt, und unsere Kritiker können sagen, der Traum
sei so wenig eine Wunscherfüllung, daß in ihm selbst ein harmloser Inhalt peinlich empfunden
werden kann. Wir werden gegen diese unverständige Bemerkung einwenden, daß die
Wunscherfüllungstendenz der Traumarbeit gerade an solchen Träumen am deutlichsten, weil
isoliert, zum Vorschein kommt. Der Irrtum kommt daher, daß, wer die Neurosen nicht kennt, sich
die Verknüpfung von Inhalt und Affekt als eine zu innige vorstellt und darum nicht fassen kann,
daß ein Inhalt abgeändert wird, ohne daß die dazugehörige Affektäußerung mitverändert werde.
Ein zweites, weit wichtigeres und tiefer reichendes Moment, welches der Laie gleichfalls
vernachlässigt, ist das folgende. Eine Wunscherfüllung müßte gewiß Lust bringen, aber es fragt
sich auch, wem? Natürlich dem, der den Wunsch hat. Vom Träumer ist uns aber bekannt, daß er
zu seinen Wünschen ein ganz besonderes Verhältnis unterhält. Er verwirft sie, zensuriert sie, kurz
er mag sie nicht. Eine Erfüllung derselben kann ihm also keine Lust bringen, sondern nur das
Gegenteil davon. Die Erfahrung zeigt dann, daß dieses Gegenteil, was noch zu erklären ist, in der
Form der Angst auftritt. Der Träumer kann also in seinem Verhältnis zu seinen Traumwünschen
nur einer Summation von zwei Personen gleichgestellt werden, die doch durch eine starke
Gemeinsamkeit verbunden sind. Anstatt aller weiteren Ausführungen biete ich Ihnen ein
bekanntes Märchen, in welchem Sie die nämlichen Beziehungen wiederfinden werden. Eine gute
Fee verspricht einem armen Menschenpaar, Mann und Frau, die Erfüllung ihrer drei ersten
Wünsche. Sie sind selig und nehmen sich vor, diese drei Wünsche sorgfältig auszuwählen. Die
Frau läßt sich aber durch den Duft von Bratwürstchen aus der nächsten Hütte verleiten, sich ein
solches Paar Würstchen herzuwünschen. Flugs sind sie auch da; das ist die erste
Wunscherfüllung. Nun wird der Mann böse und wünscht in seiner Erbitterung, daß die Würste
der Frau an der Nase hängen mögen. Das vollzieht sich auch, und die Würste sind von ihrem
127
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin