Seite - 129 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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der sie zu überrumpeln droht, so bedient sie sich anstatt der Entstellung des letzten Mittels, das
ihr bleibt, den Schlafzustand unter Angstentwicklung aufzugeben.
Dabei fällt uns auf, daß wir ja überhaupt noch nicht wissen, warum diese bösen, verworfenen
Wünsche sich gerade zur Nachtzeit regen, um uns im Schlafe zu stören. Die Antwort kann kaum
anders als in einer Annahme bestehen, die auf die Natur des Schlafzustandes zurückgreift. Bei
Tage lastet der schwere Druck einer Zensur auf diesen Wünschen, der es ihnen in der Regel
unmöglich macht, sich durch irgendeine Wirkung zu äußern. Zur Nachtzeit wird diese Zensur
wahrscheinlich wie alle anderen Interessen des seelischen Lebens zu Gunsten des einzigen
Schlafwunsches eingezogen oder wenigstens stark herabgesetzt. Diese Herabsetzung der Zensur
zur Nachtzeit ist es dann, der die verbotenen Wünsche es verdanken, daß sie sich wiederum regen
dürfen. Es gibt schlaflose Nervöse, die uns gestehen, daß ihre Schlaflosigkeit anfänglich eine
gewollte war. Sie getrauten sich nicht einzuschlafen, weil sie sich vor ihren Träumen, also vor
den Folgen dieser Verminderung der Zensur fürchteten. Daß diese Einziehung der Zensur darum
doch keine grobe Unvorsichtigkeit bedeutet, sehen Sie wohl mit Leichtigkeit ein. Der
Schlafzustand lähmt unsere Motilität; unsere bösen Absichten können, wenn sie sich auch zu
rühren beginnen, doch nichts anderes machen als eben einen Traum, der praktisch unschädlich
ist, und an diesen beruhigenden Sachverhalt mahnt die höchst vernünftige, zwar der Nacht, aber
doch nicht dem Traumleben angehörige Bemerkung des Schläfers: Es ist ja nur ein Traum. Also
lassen wir ihn gewähren und schlafen wir weiter.
Wenn Sie drittens sich an die Auffassung erinnern, daß der gegen seine Wünsche sich sträubende
Träumer gleichzusetzen ist einer Summation von zwei gesonderten, aber irgendwie innig
verbundenen Personen, so werden Sie eine andere Möglichkeit begreiflich finden, wie durch
Wunscherfüllung etwas zustande kommen kann, was höchst unlustig ist, nämlich eine
Bestrafung. Hier kann uns wiederum das Märchen von den drei Wünschen zur Erläuterung
dienen: die Bratwürstchen auf dem Teller sind die direkte Wunscherfüllung der ersten Person, der
Frau; die Würstchen an ihrer Nase sind die Wunscherfüllung der zweiten Person, des Mannes,
aber gleichzeitig auch die Strafe für den törichten Wunsch der Frau. Bei den Neurosen werden
wir dann die Motivierung des dritten Wunsches, der im Märchen allein noch übrigbleibt,
wiederfinden. Solcher Straftendenzen gibt es nun viele im Seelenleben des Menschen; sie sind
sehr stark, und man darf sie für einen Anteil der peinlichen Träume verantwortlich machen.
Vielleicht sagen Sie jetzt, auf diese Weise bleibt von der gerühmten Wunscherfüllung nicht viel
übrig. Aber bei näherem Zusehen werden Sie zugeben, daß Sie unrecht haben. Entgegen der
später anzuführenden Mannigfaltigkeit dessen, was der Traum sein könnte, – und nach manchen
Autoren auch ist, – ist die Lösung Wunscherfüllung-Angsterfüllung-Straferfüllung doch eine
recht eingeengte. Dazu kommt, daß die Angst der direkte Gegensatz des Wunsches ist, daß
Gegensätze einander in der Assoziation besonders nahe stehen und im Unbewußten, wie wir
gehört haben, zusammenfallen. Ferner, daß die Strafe auch eine Wunscherfüllung ist, die der
anderen, zensurierenden Person.
Im ganzen habe ich also Ihrem Einspruch gegen die Theorie der Wunscherfüllung keine
Konzession gemacht. Wir sind aber verpflichtet, an jedem beliebigen entstellten Traum die
Wunscherfüllung nachzuweisen, und wollen uns dieser Aufgabe gewiß nicht entziehen. Greifen
wir auf jenen bereits gedeuteten Traum von den drei schlechten Theaterkarten für 1 fl. 50 zurück,
an dem wir schon so manches gelernt haben. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an ihn. Eine Dame,
der ihr Mann am Tage mitgeteilt, daß ihre nur um drei Monate jüngere Freundin Elise sich
verlobt hat, träumt, daß sie mit ihrem Manne im Theater sitzt. Eine Seite des Parketts ist fast leer.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin