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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 136 -
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Erinnern wir uns daran, daß wir gesagt haben, die Traumarbeit nehme eine Übersetzung der Traumgedanken in eine primitive, der Bilderschrift analoge Ausdrucksweise vor. Alle diese primitiven Ausdruckssysteme sind aber mit solchen Unbestimmtheiten und Zweideutigkeiten behaftet, ohne daß wir darum ein Recht hätten, deren Gebrauchsfähigkeit anzuzweifeln. Sie wissen, das Zusammenfallen der Gegensätze bei der Traumarbeit ist analog dem sogenannten »Gegensinn der Urworte« in den ältesten Sprachen. Der Sprachforscher K. Abel (1884), dem wir diesen Gesichtspunkt verdanken, ersucht uns, ja nicht zu glauben, daß die Mitteilung, welche eine Person der anderen mit Hilfe so ambivalenter Worte machte, darum eine zweideutige gewesen sei. Ton und Geste müssen es vielmehr im Zusammenhang der Rede ganz unzweifelhaft gemacht haben, welchen der beiden Gegensätze der Sprecher zur Mitteilung im Sinne hatte. In der Schrift, wo die Geste entfällt, wurde sie durch ein hinzugesetztes, zur Aussprache nicht bestimmtes Bildzeichen ersetzt, z.  B. durch das Bild eines lässig hockenden oder eines stramm dastehenden Männchens, je nachdem das zweideutige ken der Hieroglyphenschrift »schwach« oder »stark« bedeuten sollte. So wurde trotz der Mehrdeutigkeit der Laute und der Zeichen das Mißverständnis vermieden. Die alten Ausdruckssysteme, z.  B. die Schriften jener ältesten Sprachen, lassen uns eine Anzahl von Unbestimmtheiten erkennen, die wir in unserer heutigen Schrift nicht dulden würden. So werden in manchen semitischen Schriften nur die Konsonanten der Worte bezeichnet. Die weggelassenen Vokale hat der Leser nach seiner Kenntnis und nach dem Zusammenhange einzusetzen. Nicht ganz so, aber recht ähnlich verfährt die Hieroglyphenschrift, weshalb uns die Aussprache des Altägyptischen unbekannt geblieben ist. Die heilige Schrift der Ägypter kennt noch andre Unbestimmtheiten. So ist es z.  B. der Willkür des Schreibers überlassen, ob er die Bilder von rechts nach links oder von links nach rechts aneinanderreihen will. Um lesen zu können, muß man sich an die Vorschrift halten, daß man auf die Gesichter der Figuren, Vögel u.  dgl. hin zu lesen hat. Der Schreiber konnte aber auch die Bilderzeichen in Vertikalreihen anordnen, und bei Inschriften an kleineren Objekten ließ er sich durch Rücksichten der Gefälligkeit und der Raumausfüllung bestimmen, die Folge der Zeichen noch anders abzuändern. Das Störendste an der Hieroglyphenschrift ist wohl, daß sie eine Worttrennung nicht kennt. Die Bilder laufen in gleichen Abständen voneinander über die Seite, und man kann im allgemeinen nicht wissen, ob ein Zeichen noch zum vorstehenden gehört oder den Anfang eines neuen Wortes macht. In der persischen Keilschrift dient dagegen ein schräger Keil als »Wortteiler«. Eine überaus alte, aber heute noch von 400 Millionen gebrauchte Sprache und Schrift ist die chinesische. Nehmen Sie nicht an, daß ich etwas von ihr verstehe; ich habe mich nur über sie instruiert, weil ich Analogien zu den Unbestimmtheiten des Traumes zu finden hoffte. Meine Erwartung ist auch nicht getäuscht worden. Die chinesische Sprache ist voll von solchen Unbestimmtheiten, die uns Schrecken einjagen können. Sie besteht bekanntlich aus einer Anzahl von Silbenlauten, die für sich allein oder zu zweien kombiniert gesprochen werden. Einer der Hauptdialekte hat etwa 400 solcher Laute. Da nun der Wortschatz dieses Dialekts auf etwa 4000 Worte berechnet wird, ergibt sich, daß jeder Laut im Durchschnitt zehn verschiedene Bedeutungen hat, einige davon weniger, aber andere dafür um so mehr. Es gibt dann eine ganze Anzahl von Mitteln, um der Vieldeutigkeit zu entgehen, da man nicht aus dem Zusammenhang allein erraten kann, welche der zehn Bedeutungen des Silbenlautes der Sprecher beim Hörer zu erwecken beabsichtigt. Darunter ist die Verbindung zweier Laute zu einem zusammengesetzten Wort und die Verwendung von vier verschiedenen »Tönen«, mit denen diese Silben gesprochen werden. Für unsere Vergleichung ist der Umstand noch interessanter, daß es in dieser Sprache so gut wie keine Grammatik gibt. Man kann von keinem der einsilbigen Worte sagen, ob es Haupt-, 136
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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