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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 138 -
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geblieben sind, daß eine Anzahl von Lösungen der Traumdeutung, zu denen wir uns genötigt sehen, gezwungen, erkünstelt, an den Haaren herbeigezogen, also gewaltsam oder selbst komisch und witzelnd erscheinen. Diese Äußerungen sind so häufig, daß ich aufs Geratewohl die letzte, von der mir Kunde geworden ist, herausgreifen will. Hören Sie also: In der freien Schweiz ist kürzlich ein Seminardirektor wegen Beschäftigung mit der Psychoanalyse seiner Stellung enthoben worden. Er hat Einspruch erhoben, und eine Berner Zeitung hat das Gutachten der Schulbehörde über ihn zur öffentlichen Kenntnis gebracht. Aus diesem Schriftstück ziehe ich einige Sätze, die sich auf die Psychoanalyse beziehen, aus: »Ferner überrascht das Gesuchte und Gekünstelte in vielen Beispielen, die sich auch in dem angeführten Buche von Dr. Pfister in Zürich vorfinden … Es müßte also eigentlich überraschen, daß ein Seminardirektor alle diese Behauptungen und Scheinbeweise kritiklos entgegennimmt.« Diese Sätze werden als die Entscheidung eines »ruhig Urteilenden« hingestellt. Ich meine vielmehr, diese Ruhe ist »erkünstelt«. Treten wir diesen Äußerungen in der Erwartung näher, daß etwas Nachdenken und etwas Sachkenntnis auch einem ruhigen Urteil keinen Nachteil bringen kann. Es ist wahrhaft erfrischend zu sehen, wie rasch und unbeirrt jemand in einer heiklen Frage der Tiefenpsychologie nach seinen ersten Eindrücken urteilen kann. Die Deutungen erscheinen ihm gesucht und gezwungen, sie gefallen ihm nicht, also sind sie falsch und die ganze Deuterei taugt nichts; nicht einmal ein flüchtiger Gedanke streift an die andere Möglichkeit, daß diese Deutungen aus guten Gründen so erscheinen müssen, woran sich die weitere Frage knüpfen würde, welches diese guten Gründe sind. Der beurteilte Sachverhalt bezieht sich wesentlich auf die Ergebnisse der Verschiebung, die Sie als das stärkste Mittel der Traumzensur kennengelernt haben. Mit Hilfe der Verschiebung schafft die Traumzensur Ersatzbildungen, die wir als Anspielungen bezeichnet haben. Es sind aber Anspielungen, die als solche nicht leicht zu erkennen sind, von denen der Rückweg zum Eigentlichen nicht leicht auffindbar ist und die mit diesem Eigentlichen durch die sonderbarsten, ungebräuchlichsten, äußerlichen Assoziationen in Verbindung stehen. In all diesen Fällen handelt es sich aber um Dinge, die versteckt werden sollen, die zur Verheimlichung bestimmt sind; dies will ja die Traumzensur erreichen. Etwas, das versteckt worden ist, darf man aber nicht an seinem Orte, an der ihm zukommenden Stelle, zu finden erwarten. Die heute amtierenden Grenzüberwachungskommissionen sind in dieser Hinsicht schlauer als die Schweizer Schulbehörde. Sie begnügen sich bei der Suche nach Dokumenten und Aufzeichnungen nicht damit, in Mappen und Brieftaschen nachzusehen, sondern sie ziehen die Möglichkeit in Betracht, daß die Spione und Schmuggler solche verpönte Dinge an den verborgensten Stellen ihrer Kleidung tragen könnten, wo sie entschieden nicht hingehören, wie z.  B. zwischen den doppelten Sohlen ihrer Stiefel. Finden sich die verheimlichten Dinge dort, so waren sie allerdings sehr gesucht, aber auch sehr – gefunden. Wenn wir die entlegensten, sonderbarsten, bald komisch, bald witzig erscheinenden Verknüpfungen zwischen einem latenten Traumelement und seinem manifesten Ersatz als möglich anerkennen, so folgen wir dabei reichlichen Erfahrungen an Beispielen, deren Auflösung wir in der Regel nicht selbst gefunden haben. Es ist oft nicht möglich, solche Deutungen aus Eigenem zu geben; kein sinniger Mensch könnte die vorliegende Verknüpfung erraten. Der Träumer gibt uns die Übersetzung entweder mit einem Schlage durch seinen direkten Einfall – er kann es ja, denn bei ihm hat sich diese Ersatzbildung hergestellt, – oder er liefert uns so viel Material, daß die Lösung keinen besonderen Scharfsinn mehr fordert, sondern sich wie notwendig aufdrängt. Hilft uns der Träumer nicht auf eine dieser beiden Weisen, so bleibt uns das 138
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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