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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 144 -
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geliefert hat. Ich habe oft den Eindruck empfangen, als ob unsere Gegner diese Herkunft unserer Behauptungen gar nicht in Rücksicht ziehen wollten, als meinten sie, es handle sich um nur subjektiv bestimmte Einfälle, denen ein anderer sein eigenes Belieben entgegensetzen kann. Ganz verständlich ist mir dieses gegnerische Benehmen nicht. Vielleicht kommt es daher, daß man sich als Arzt sonst so wenig mit den Nervösen einläßt, so unaufmerksam zuhört, was sie zu sagen haben, daß man sich der Möglichkeit entfremdet hat, aus ihren Mitteilungen etwas Wertvolles zu entnehmen, also an ihnen eingehende Beobachtungen zu machen. Ich verspreche Ihnen bei dieser Gelegenheit, daß ich im Verlaufe meiner Vorträge wenig polemisieren werde, am wenigsten mit einzelnen Personen. Ich habe mich von der Wahrheit des Satzes, daß der Streit der Vater aller Dinge sei, nicht überzeugen können. Ich glaube, er stammt von der griechischen Sophistik her und fehlt, wie diese, durch Überschätzung der Dialektik. Mir schien es im Gegenteil, als ob die sogenannte wissenschaftliche Polemik im ganzen recht unfruchtbar sei, abgesehen davon, daß sie fast immer höchst persönlich betrieben wird. Bis vor einigen Jahren konnte ich auch von mir rühmen, daß ich nur mit einem einzigen Forscher (Löwenfeld in München) einmal einen regelrechten wissenschaftlichen Streit eingegangen bin. Das Ende war, daß wir Freunde geworden und bis auf den heutigen Tag so geblieben sind. Aber ich habe den Versuch lange nicht wiederholt, weil ich des gleichen Ausganges nicht sicher war. Sie werden nun gewiß urteilen, daß eine solche Ablehnung literarischer Diskussion einen besonders hohen Grad von Unzugänglichkeit gegen Einwürfe, von Eigensinn, oder wie man es in der liebenswürdigen wissenschaftlichen Umgangssprache ausdrückt, von »Verranntheit« bezeugt. Ich möchte Ihnen antworten, wenn Sie einmal eine Überzeugung mit so schwerer Arbeit erworben haben werden, wird Ihnen auch ein gewisses Recht zufallen, mit einiger Zähigkeit an dieser Überzeugung festzuhalten. Ich kann ferner geltend machen, daß ich im Laufe meiner Arbeiten meine Ansichten über einige wichtige Punkte modifiziert, geändert, durch neue ersetzt habe, wovon ich natürlich jedesmal öffentlich Mitteilung machte. Und der Erfolg dieser Aufrichtigkeit? Die einen haben von meinen Selbstkorrekturen überhaupt nicht Kenntnis genommen und kritisieren mich noch heute wegen Aufstellungen, die mir längst nicht mehr dasselbe bedeuten. Die anderen halten mir gerade diese Wandlungen vor und erklären mich darum für unzuverlässig. Nicht wahr, wer einige Male seine Ansichten geändert hat, der verdient überhaupt keinen Glauben, denn er legt es zu nahe, daß er sich auch mit seinen letzten Behauptungen geirrt haben kann? Wer aber an dem einmal Geäußerten unbeirrt festhält oder sich nicht rasch genug davon abbringen läßt, der heißt eigensinnig und verrannt. Was kann man angesichts dieser einander entgegengesetzten Einwirkungen der Kritik anderes tun als bleiben, wie man ist, und sich benehmen, wie das eigene Urteil es billigt? Dazu bin ich auch entschlossen, und ich lasse mich nicht abhalten, an all meinen Lehren zu modeln und zurechtzurücken, wie es meine fortschreitende Erfahrung erfordert. An den grundlegenden Einsichten habe ich bisher nichts zu ändern gefunden und hoffe, es wird auch weiterhin so bleiben. Ich soll Ihnen also die psychoanalytische Auffassung der neurotischen Erscheinungen vorführen. Es liegt mir dabei nahe, an die bereits behandelten Phänomene anzuknüpfen, sowohl der Analogie als auch des Kontrastes wegen. Ich greife eine Symptomhandlung auf, die ich viele Personen in meiner Sprechstunde begehen sehe. Mit den Leuten, die uns in der ärztlichen Ordination besuchen, um in einer Viertelstunde den Jammer ihres langen Lebens vor uns auszubreiten, weiß ja der Analytiker nicht viel anzufangen. Sein tieferes Wissen macht es ihm schwer, wie ein anderer Arzt das Gutachten von sich zu geben: Es fehlt ihnen nichts – und den Rat zu erteilen: Gebrauchen Sie eine leichte Wasserkur. Einer unserer Kollegen hat denn auch auf die Frage, was er mit seinen Ordinationspatienten anstelle, achselzuckend geantwortet: Er lege 144
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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