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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 147 -
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gegen die Symptomhandlung des Patienten benehmen würde, der die Türen zum Wartezimmer nicht schließt, das wissen wir bereits. Er erklärt sie für eine Zufälligkeit ohne psychologisches Interesse, die ihn weiter nichts angeht. Aber dies Verhalten läßt sich auf den Krankheitsfall der eifersüchtigen Frau nicht fortsetzen. Die Symptomhandlung scheint etwas Gleichgültiges zu sein, das Symptom aber drängt sich als etwas Bedeutsames auf. Es ist mit intensivem subjektiven Leiden verbunden, es bedroht objektiv das Zusammenleben einer Familie; es ist also ein unabweisbarer Gegenstand des psychiatrischen Interesses. Der Psychiater versucht zunächst das Symptom durch eine wesentliche Eigenschaft zu charakterisieren. Die Idee, mit welcher diese Frau sich quält, ist nicht an sich unsinnig zu nennen; es kommt ja vor, daß ältere Ehemänner Liebesbeziehungen zu jungen Mädchen unterhalten. Aber etwas anderes daran ist unsinnig und unbegreiflich. Die Patientin hat gar keinen anderen Grund daran zu glauben, daß ihr zärtlicher und treuer Gatte zu dieser sonst nicht so seltenen Kategorie von Ehemännern gehört, als die Behauptung des anonymen Briefes. Sie weiß, daß diesem Schriftstück keine Beweiskraft zukommt, sie kann sich dessen Herkunft befriedigend aufklären; sie sollte sich also sagen können, daß sie gar keinen Grund für ihre Eifersucht hat, sie sagt es sich auch, aber sie leidet trotzdem ebenso, als ob sie diese Eifersucht als vollberechtigt anerkennen würde. Ideen dieser Art, die logischen und aus der Realität geschöpften Argumenten unzugänglich sind, ist man übereingekommen, Wahnideen zu heißen. Die gute Dame leidet also an Eifersuchtswahn. Das ist wohl die wesentliche Charakteristik dieses Krankheitsfalles. Nach dieser ersten Feststellung wird unser psychiatrisches Interesse sich noch lebhafter regen wollen. Wenn eine Wahnidee durch den Bezug auf die Realität nicht abzutun ist, so wird sie wohl auch nicht aus der Realität stammen. Woher stammt sie sonst? Es gibt Wahnideen des verschiedenartigsten Inhaltes; warum ist der Inhalt des Wahnes in unserem Falle gerade Eifersucht? Bei welchen Personen bilden sich Wahnideen oder besonders Wahnideen der Eifersucht? Hier möchten wir nun dem Psychiater lauschen, aber hier läßt er uns im Stiche. Er geht überhaupt nur auf eine einzige unserer Fragestellungen ein. Er wird in der Familiengeschichte dieser Frau nachforschen und uns vielleicht die Antwort bringen: Wahnideen kommen bei solchen Personen vor, in deren Familien ähnliche und andere psychische Störungen wiederholt vorgekommen sind. Mit anderen Worten, wenn diese Frau eine Wahnidee entwickelt hat, so war sie durch erbliche Übertragung dazu disponiert. Das ist gewiß etwas, aber ist das alles, was wir wissen wollen? Alles, was zur Verursachung dieses Krankheitsfalles mitgewirkt hat? Sollen wir uns damit begnügen anzunehmen, daß es gleichgültig, willkürlich oder unerklärlich ist, wenn sich ein Eifersuchtswahn entwickelt hat an Stelle irgendeines anderen? Und dürfen wir den Satz, der die Vorherrschaft des erblichen Einflusses verkündet, auch im negativen Sinne dahin verstehen, es sei gleichgültig, welche Erlebnisse an diese Seele herangetreten sind, sie war dazu bestimmt, irgendeinmal einen Wahn zu produzieren? Sie werden wissen wollen, warum uns die wissenschaftliche Psychiatrie keine weiteren Aufschlüsse geben will. Aber ich antworte Ihnen: Ein Schelm, wer mehr gibt, als er hat. Der Psychiater kennt eben keinen Weg, der in der Aufklärung eines solchen Falles weiterführt. Er muß sich mit der Diagnose und einer trotz reichlicher Erfahrung unsicheren Prognose des weiteren Verlaufes begnügen. Kann aber die Psychoanalyse hier mehr leisten? Ja doch; ich hoffe Ihnen zu zeigen, daß sie selbst in einem so schwer zugänglichen Falle etwas aufzudecken vermag, was das nächste Verständnis ermöglicht. Zunächst bitte ich Sie, das unscheinbare Detail zu beachten, daß die Patientin den anonymen Brief, der nun ihre Wahnidee stützt, geradezu provoziert hat, indem sie tags zuvor gegen das intrigante Mädchen die Äußerung tat, es wäre ihr größtes Unglück, wenn ihr 147
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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