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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 148 -
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Mann ein Liebesverhältnis mit einem jungen Mädchen hätte. Dadurch brachte sie das Dienstmädchen erst auf die Idee, ihr den anonymen Brief zu schicken. Die Wahnidee gewinnt so eine gewisse Unabhängigkeit von dem Briefe; sie ist schon vorher als Befürchtung – oder als Wunsch? – in der Kranken vorhanden gewesen. Nehmen Sie nun weiter hinzu, was nur zwei Stunden Analyse an weiteren kleinen Anzeichen ergeben haben. Die Patientin verhielt sich zwar sehr ablehnend, als sie aufgefordert wurde, nach der Erzählung ihrer Geschichte ihre weiteren Gedanken, Einfälle und Erinnerungen mitzuteilen. Sie behauptete, es fiele ihr nichts ein, sie habe schon alles gesagt, und nach zwei Stunden mußte der Versuch mit ihr wirklich abgebrochen werden, weil sie verkündet hatte, sie fühle sich bereits gesund und sei sicher, daß die krankhafte Idee nicht wiederkommen werde. Das sagte sie natürlich nur aus Widerstand und aus Angst vor der Fortsetzung der Analyse. Aber in diesen zwei Stunden hatte sie doch einige Bemerkungen fallenlassen, die eine bestimmte Deutung gestatteten, ja unabweisbar machten, und diese Deutung wirft ein helles Licht auf die Genese ihres Eifersuchtswahnes. Es bestand bei ihr selbst eine intensive Verliebtheit in einen jungen Mann, in denselben Schwiegersohn, auf dessen Drängen sie mich als Patientin aufgesucht hatte. Von dieser Verliebtheit wußte sie nichts oder vielleicht nur sehr wenig; bei dem bestehenden Verwandtschaftsverhältnis hatte diese verliebte Neigung es leicht, sich als harmlose Zärtlichkeit zu maskieren. Nach all unseren sonstigen Erfahrungen wird es uns nicht schwer, uns in das Seelenleben dieser anständigen Frau und braven Mutter von 53 Jahren einzufühlen. Eine solche Verliebtheit konnte als etwas Ungeheuerliches, Unmögliches nicht bewußt werden; sie blieb aber bestehen und übte als unbewußte einen schweren Druck aus. Irgend etwas mußte mit ihr geschehen, irgendeine Abhilfe gesucht werden, und die nächste Linderung bot wohl der Verschiebungsmechanismus, der an der Entstehung der wahnhaften Eifersucht so regelmäßig Anteil hat. Wenn nicht nur sie alte Frau in einen jungen Mann verliebt war, sondern auch ihr alter Mann ein Liebesverhältnis mit einem jungen Mädchen unterhielt, dann war sie ja vom Gewissensdruck der Untreue entlastet. Die Phantasie von der Untreue des Mannes war also ein kühlendes Pflaster auf ihre brennende Wunde. Ihre eigene Liebe war ihr nicht bewußt geworden, aber die Spiegelung derselben, die ihr solche Vorteile brachte, wurde nun zwangsartig, wahnhaft, bewußt. Alle Argumente dagegen konnten natürlich nichts fruchten, denn sie richteten sich nur gegen das Spiegel-, nicht gegen das Urbild, dem jenes seine Stärke verdankte und das unantastbar im Unbewußten geborgen lag. Stellen wir nun zusammen, was eine kurze und erschwerte psychoanalytische Bemühung zum Verständnis dieses Krankheitsfalles gebracht hat. Vorausgesetzt natürlich, daß unsere Ermittlungen korrekt zustande gekommen sind, was ich hier Ihrem Urteil nicht unterwerfen kann. Fürs erste: Die Wahnidee ist nichts Unsinniges oder Unverständliches mehr, sie ist sinnreich, gut motiviert, gehört in den Zusammenhang eines affektvollen Erlebnisses der Kranken. Zweitens: Sie ist notwendig als Reaktion auf einen aus anderen Anzeichen erratenen unbewußten seelischen Vorgang und verdankt gerade dieser Beziehung ihren wahnhaften Charakter, ihre Resistenz gegen logische und reale Angriffe. Sie ist selbst etwas Erwünschtes, eine Art von Tröstung. Drittens: Es ist durch das Erlebnis hinter der Erkrankung unzweideutig bestimmt, daß es gerade eine eifersüchtige Wahnidee wurde und keine andere. Sie erinnern sich doch, daß sie tags zuvor gegen das intrigante Mädchen die Äußerung tat, es wäre ihr das Schrecklichste, wenn ihr Mann ihr untreu würde. Sie übersehen auch nicht die beiden wichtigen Analogien mit der von uns analysierten Symptomhandlung in der Aufklärung des Sinnes oder der Absicht und in der Beziehung auf ein in der Situation gegebenes Unbewußtes. Natürlich sind damit nicht alle Fragen beantwortet, die wir aus Anlaß dieses Falles stellen durften. Der Krankheitsfall starrt vielmehr von weiteren Problemen, solchen, die überhaupt noch 148
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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