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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 158 -
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die Analyse dieses Symptoms wiederum auf das Sexualleben der Kranken hingeführt hat. Vielleicht werden wir uns darüber um so weniger verwundern, je öfter wir in den Sinn und in die Absicht neurotischer Symptome Einsicht gewinnen. So habe ich Ihnen denn an zwei ausgewählten Beispielen gezeigt, daß die neurotischen Symptome einen Sinn haben wie die Fehlleistungen und wie die Träume und daß sie in intimer Beziehung zum Erleben der Patienten stehen. Kann ich erwarten, daß Sie mir diesen überaus bedeutsamen Satz auf zwei Beispiele hin glauben? Nein. Aber können Sie von mir verlangen, daß ich Ihnen soviel weitere Beispiele erzähle, bis Sie sich für überzeugt erklären? Auch nicht, denn bei der Ausführlichkeit, mit der ich den einzelnen Fall behandle, müßte ich ein fünfstündiges Semestralkolleg der Erledigung dieses einzelnen Punktes der Neurosenlehre widmen. Ich bescheide mich also damit, Ihnen eine Probe für meine Behauptung gegeben zu haben, und verweise Sie im übrigen auf die Mitteilungen in der Literatur, auf die klassischen Symptomdeutungen im ersten Fall von Breuer (Hysterie), auf die frappanten Aufhellungen ganz dunkler Symptome bei der sogenannten Dementia praecox durch C.  G. Jung aus der Zeit, da dieser Forscher bloß Psychoanalytiker war und noch nicht Prophet sein wollte, und auf alle die Arbeiten, die seither unsere Zeitschriften gefüllt haben. Wir haben gerade an solchen Untersuchungen keinen Mangel. Die Analyse, Deutung, Übersetzung der neurotischen Symptome hat die Psychoanalytiker so angezogen, daß sie zunächst die anderen Probleme der Neurotik dagegen vernachlässigten. Wer von Ihnen sich einer solchen Bemühung unterzieht, der wird gewiß einen starken Eindruck von der Fülle des Beweismaterials empfangen. Aber er wird auch auf eine Schwierigkeit stoßen. Der Sinn eines Symptoms liegt, wie wir erfahren haben, in einer Beziehung zum Erleben des Kranken. Je individueller das Symptom ausgebildet ist, desto eher dürfen wir erwarten, diesen Zusammenhang herzustellen. Die Aufgabe stellt sich dann geradezu, für eine sinnlose Idee und eine zwecklose Handlung jene vergangene Situation aufzufinden, in welcher die Idee gerechtfertigt und die Handlung zweckentsprechend war. Die Zwangshandlung unserer Patientin, die zum Tisch lief und dem Stubenmädchen schellte, ist direkt vorbildlich für diese Art von Symptomen. Aber es gibt, und zwar sehr häufig, Symptome von ganz anderem Charakter. Man muß sie »typische« Symptome der Krankheit nennen, sie sind in allen Fällen ungefähr gleich, die individuellen Unterschiede verschwinden bei ihnen oder schrumpfen wenigstens so zusammen, daß es schwerfällt, sie mit dem individuellen Erleben der Kranken zusammenzubringen und auf einzelne erlebte Situationen zu beziehen. Richten wir unseren Blick wiederum auf die Zwangsneurose. Schon das Schlafzimmerzeremoniell unserer zweiten Patientin hat viel Typisches an sich, dabei allerdings genug individuelle Züge, um die sozusagen historische Deutung zu ermöglichen. Aber alle diese Zwangskranken haben die Neigung zu wiederholen, Verrichtungen zu rhythmieren und von anderen zu isolieren. Die meisten von ihnen waschen zu viel. Die Kranken, welche an Agoraphobie (Topophobie, Raumangst) leiden, was wir nicht mehr zur Zwangsneurose rechnen, sondern als Angsthysterie bezeichnen, wiederholen in ihren Krankheitsbildern oft in ermüdender Monotonie dieselben Züge, sie fürchten geschlossene Räume, große offene Plätze, lange sich hinziehende Straßen und Alleen. Sie halten sich für geschützt, wenn Bekannte sie begleiten oder wenn ein Wagen ihnen nachfährt usw. Auf diesem gleichartigen Untergrund tragen aber doch die einzelnen Kranken ihre individuellen Bedingungen, Launen, möchte man sagen, auf, die einander in den einzelnen Fällen direkt widersprechen. Der eine scheut nur enge Straßen, der andere nur weite, der eine kann nur gehen, wenn wenig, der andere, wenn viele Menschen auf der Straße sind. Ebenso hat die Hysterie bei allem Reichtum an individuellen Zügen einen Überfluß an gemeinsamen, typischen Symptomen, 158
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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