Seite - 163 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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die sich in das Gewühl der Sterblichen gemengt haben, ist wohl der deutlichste Hinweis auf einen
besonderen, vom übrigen abgeschlossenen Bezirk des Seelenlebens gegeben. Von ihnen aus führt
ein nicht zu verfehlender Weg zur Überzeugung von der Existenz des Unbewußten in der Seele,
und gerade darum weiß die klinische Psychiatrie, die nur eine Bewußtseinspsychologie kennt, mit
ihnen nichts anderes anzufangen, als daß sie sie für die Anzeichen einer besonderen
Degenerationsweise ausgibt. Natürlich sind die Zwangsvorstellungen und Zwangsimpulse nicht
selbst unbewußt, so wenig wie die Ausführung der Zwangshandlungen der bewußten
Wahrnehmung entgeht. Sie wären nicht Symptome geworden, wenn sie nicht zum Bewußtsein
durchgedrungen wären. Aber die psychischen Vorbedingungen, die wir durch die Analyse für sie
erschließen, die Zusammenhänge, in welche wir sie durch die Deutung einsetzen, sind
unbewußte, wenigstens so lange, bis wir sie dem Kranken durch die Arbeit der Analyse zu
bewußten gemacht haben.
Nun nehmen Sie hinzu, daß dieser bei unseren beiden Fällen festgestellte Sachverhalt sich bei
allen Symptomen aller neurotischen Erkrankungen bestätigt, daß immer und überall der Sinn der
Symptome dem Kranken unbekannt ist, daß die Analyse regelmäßig zeigt, diese Symptome seien
Abkömmlinge unbewußter Vorgänge, die sich aber unter mannigfaltigen günstigen Bedingungen
bewußtmachen lassen, so werden Sie verstehen, daß wir in der Psychoanalyse das unbewußte
Seelische nicht entbehren können und gewohnt sind, mit ihm wie mit etwas sinnlich Greifbarem
zu operieren. Sie werden aber vielleicht auch begreifen, wie wenig urteilsfähig in dieser Frage
alle anderen sind, die das Unbewußte nur als Begriff kennen, die nie analysiert, nie Träume
gedeutet oder neurotische Symptome in Sinn und Absicht umgesetzt haben. Um es für unsere
Zwecke nochmals auszusprechen: Die Möglichkeit, den neurotischen Symptomen durch
analytische Deutung einen Sinn zu geben, ist ein unerschütterlicher Beweis für die Existenz –
oder, wenn Sie so lieber wollen, für die Notwendigkeit der Annahme – unbewußter seelischer
Vorgänge.
Das ist aber nicht alles. Dank einer zweiten Entdeckung von Breuer, die mir sogar als die
inhaltsreichere erscheint und in welcher er keine Genossen hat, erfahren wir von der Beziehung
zwischen dem Unbewußten und den neurotischen Symptomen noch mehr. Nicht nur, daß der
Sinn der Symptome regelmäßig unbewußt ist; es besteht auch ein Verhältnis von Vertretung
zwischen dieser Unbewußtheit und der Existenzmöglichkeit der Symptome. Sie werden mich
bald verstehen. Ich will mit Breuer folgendes behaupten: Jedesmal, wenn wir auf ein Symptom
stoßen, dürfen wir schließen, es bestehen bei dem Kranken bestimmte unbewußte Vorgänge, die
eben den Sinn des Symptoms enthalten. Aber es ist auch erforderlich, daß dieser Sinn unbewußt
sei, damit das Symptom zustande komme. Aus bewußten Vorgängen werden Symptome nicht
gebildet; sowie die betreffenden unbewußten bewußt geworden sind, muß das Symptom
verschwinden. Sie erkennen hier mit einem Male einen Zugang zur Therapie, einen Weg,
Symptome zum Verschwinden zu bringen. Auf diesem Wege hat Breuer in der Tat seine
hysterische Patientin hergestellt, das heißt von ihren Symptomen befreit; er fand eine Technik, ihr
die unbewußten Vorgänge, die den Sinn des Symptoms enthielten, zum Bewußtsein zu bringen,
und die Symptome verschwanden.
Diese Entdeckung von Breuer war nicht das Ergebnis einer Spekulation, sondern einer
glücklichen, durch das Entgegenkommen des Kranken ermöglichten Beobachtung. Sie sollen sich
jetzt auch nicht damit quälen wollen, sie durch Zurückführung auf etwas anderes, bereits
Bekanntes zu verstehen, sondern sollen eine neue fundamentale Tatsache in ihr erkennen, mit
deren Hilfe vieles andere erklärlich werden wird. Gestatten Sie mir darum, daß ich Ihnen
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin