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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 166 -
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Seite - 166 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

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letztere Neurose ist meist durch ganz großartige Amnesien ausgezeichnet. In der Regel wird man bei der Analyse jedes einzelnen hysterischen Symptoms auf eine ganze Kette von Lebenseindrücken geleitet, die bei ihrer Wiederkehr ausdrücklich als bisher vergessen bezeichnet werden. Diese Kette reicht einerseits bis in die frühesten Lebensjahre zurück, so daß sich die hysterische Amnesie als unmittelbare Fortsetzung der infantilen Amnesie erkennen läßt, die uns Normalen die Anfänge unseres Seelenlebens verdeckt. Anderseits erfahren wir mit Erstaunen, daß auch die jüngsten Erlebnisse der Kranken dem Vergessen verfallen sein können und daß insbesondere die Anlässe, bei denen die Krankheit ausgebrochen oder verstärkt worden ist, von der Amnesie angenagt, wenn nicht ganz verschlungen worden sind. Regelmäßig sind aus dem Gesamtbild einer solchen rezenten Erinnerung wichtige Einzelheiten geschwunden oder durch Erinnerungsfälschungen ersetzt worden. Ja es ereignet sich wiederum fast regelmäßig, daß erst kurz vor dem Abschluß einer Analyse gewisse Erinnerungen an frisch Erlebtes auftauchen, die so lange zurückgehalten werden konnten und fühlbare Lücken im Zusammenhange gelassen hatten. Solche Beeinträchtigungen des Erinnerungsvermögens sind, wie gesagt, für die Hysterie charakteristisch, bei welcher ja auch als Symptome Zustände auftreten (die hysterischen Anfälle), die in der Erinnerung keine Spur zu hinterlassen brauchen. Wenn es bei der Zwangsneurose anders ist, so mögen Sie daraus schließen, daß es sich bei diesen Amnesien um einen psychologischen Charakter der hysterischen Veränderung und nicht um einen allgemeinen Zug der Neurosen überhaupt handelt. Die Bedeutung dieser Differenz wird durch folgende Betrachtung eingeschränkt werden. Wir haben als den »Sinn« eines Symptoms zweierlei zusammengefaßt, sein Woher und sein Wohin oder Wozu, das heißt die Eindrücke und Erlebnisse, von denen es ausgeht, und die Absichten, denen es dient. Das Woher eines Symptoms löst sich also in Eindrücke auf, die von außen gekommen sind, die notwendigerweise einmal bewußt waren und seither durch Vergessen unbewußt geworden sein mögen. Das Wozu des Symptoms, seine Tendenz, ist aber jedesmal ein endopsychischer Vorgang, der möglicherweise zuerst bewußt geworden ist, aber ebensowohl niemals bewußt war und von jeher im Unbewußten verblieben ist. Es ist also nicht sehr wichtig, ob die Amnesie auch das Woher, die Erlebnisse, auf die sich das Symptom stützt, ergriffen hat, wie es bei der Hysterie geschieht; das Wohin, die Tendenz des Symptoms, die von Anfang an unbewußt gewesen sein kann, ist es, die die Abhängigkeit desselben vom Unbewußten begründet, und zwar bei der Zwangsneurose nicht weniger fest als bei der Hysterie. Mit dieser Hervorhebung des Unbewußten im Seelenleben haben wir aber die bösesten Geister der Kritik gegen die Psychoanalyse aufgerufen. Wundern Sie sich darüber nicht und glauben Sie auch nicht, daß der Widerstand gegen uns nur an der begreiflichen Schwierigkeit des Unbewußten oder an der relativen Unzugänglichkeit der Erfahrungen gelegen ist, die es erweisen. Ich meine, er kommt von tiefer her. Zwei große Kränkungen ihrer naiven Eigenliebe hat die Menschheit im Laufe der Zeiten von der Wissenschaft erdulden müssen. Die erste, als sie erfuhr, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, sondern ein winziges Teilchen eines in seiner Größe kaum vorstellbaren Weltsystems. Sie knüpft sich für uns an den Namen Kopernikus, obwohl schon die alexandrinische Wissenschaft ähnliches verkündet hatte. Die zweite dann, als die biologische Forschung das angebliche Schöpfungsvorrecht des Menschen zunichte machte, ihn auf die Abstammung aus dem Tierreich und die Unvertilgbarkeit seiner animalischen Natur verwies. Diese Umwertung hat sich in unseren Tagen unter dem Einfluß von Ch. Darwin, Wallace und ihren Vorgängern nicht ohne das heftigste Sträuben der Zeitgenossen vollzogen. Die dritte und empfindlichste Kränkung aber soll die menschliche Größensucht durch die heutige psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will, daß es nicht einmal Herr 166
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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