Seite - 547 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Der Einfall »Dysenterie« im Injektionstraum ist gleichfalls mehrfach determiniert, einerseits
durch den paraphasischen Gleichklang mit Diphtherie, anderseits durch die Beziehung auf den
von mir in den Orient geschickten Patienten, dessen Hysterie verkannt wird.
Als ein interessanter Fall von Verdichtung erweist sich auch die Erwähnung von »Propylen« im
Traum. In den Traumgedanken war nicht »Propylen«, sondern »Amylen« enthalten. Man könnte
meinen, daß hier eine einfache Verschiebung bei der Traumbildung Platz gegriffen hat. So ist es
auch, allein diese Verschiebung dient den Zwecken der Verdichtung, wie folgender Nachtrag zur
Traumanalyse zeigt. Wenn meine Aufmerksamkeit bei dem Worte »Propylen« noch einen
Moment haltmacht, so fällt mir der Gleichklang mit dem Worte »Propyläen« ein. Die Propyläen
befinden sich aber nicht nur in Athen, sondern auch in München. In dieser Stadt habe ich ein Jahr
vor dem Traum meinen damals schwerkranken Freund aufgesucht, dessen Erwähnung durch das
bald auf Propylen folgende Trimethylamin des Traumes unverkennbar wird.
Ich gehe über den auffälligen Umstand hinweg, daß hier und anderswo bei der Traumanalyse
Assoziationen von der verschiedensten Wertigkeit wie gleichwertig zur Gedankenverbindung
benützt werden, und gebe der Versuchung nach, mir den Vorgang bei der Ersetzung von Amylen
in den Traumgedanken durch Propylen in dem Trauminhalt gleichsam plastisch vorzustellen.
Hier befinde sich die Vorstellungsgruppe meines Freundes Otto, der mich nicht versteht, mir
unrecht gibt und mir nach Amylen duftenden Likör schenkt; dort durch Gegensatz verbunden die
meines Berliner Freundes, der mich versteht, mir recht geben würde und dem ich soviel wertvolle
Mitteilungen, auch über die Chemie der Sexualvorgänge, verdanke.
Was aus der Gruppe Otto meine Aufmerksamkeit besonders erregen soll, ist durch die rezenten,
den Traum erregenden Anlässe bestimmt; das Amylen gehört zu diesen ausgezeichneten, für den
Trauminhalt prädestinierten Elementen. Die reiche Vorstellungsgruppe »Wilhelm« wird geradezu
durch den Gegensatz zu Otto belebt und die Elemente in ihr hervorgehoben, welche an die bereits
erregten in Otto anklingen. In diesem ganzen Traum rekurriere ich ja von einer Person, die mein
Mißfallen erregt, auf eine andere, die ich ihr nach Wunsch entgegenstellen kann, rufe ich Zug für
Zug den Freund gegen den Widersacher auf. So erweckt das Amylen bei Otto auch in der anderen
Gruppe Erinnerungen aus dem Kreis der Chemie; das Trimethylamin, von mehreren Seiten her
unterstützt, gelangt in den Trauminhalt. Auch »Amylen« könnte unverwandelt in den
Trauminhalt kommen, es unterliegt aber der Einwirkung der Gruppe »Wilhelm«, indem aus dem
ganzen Erinnerungsumfang, den dieser Name deckt, ein Element hervorgesucht wird, welches
eine doppelte Determinierung für Amylen ergeben kann. In der Nähe von Amylen liegt für die
Assoziation »Propylen«; aus dem Kreise »Wilhelm« kommt ihm München mit den Propyläen
entgegen. In Propylen-Propyläen treffen beide Vorstellungskreise zusammen. Wie durch einen
Kompromiß gelangt dieses mittlere Element dann in den Trauminhalt. Es ist hier ein mittleres
Gemeinsames geschaffen worden, welches mehrfache Determinierung zuläßt. Wir greifen so mit
Händen, daß die mehrfache Determinierung das Durchdringen in den Trauminhalt erleichtern
muß. Zum Zwecke dieser Mittelbildung ist unbedenklich eine Verschiebung der Aufmerksamkeit
von dem eigentlich Gemeinten zu einem in der Assoziation Naheliegenden vorgenommen
worden.
Das Studium des Injektionstraums gestattet uns bereits, einige Übersicht über die
Verdichtungsvorgänge bei der Traumbildung zu gewinnen. Wir konnten die Auswahl der
mehrfach in den Traumgedanken vorkommenden Elemente, die Bildung neuer Einheiten
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin