Seite - 548 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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(Sammelpersonen, Mischgebilde) und die Herstellung von mittleren Gemeinsamen als
Einzelheiten der Verdichtungsarbeit erkennen. Wozu die Verdichtung dient und wodurch sie
gefordert wird, werden wir uns erst fragen, wenn wir die psychischen Vorgänge bei der
Traumbildung im Zusammenhange erfassen wollen. Begnügen wir uns jetzt mit der Feststellung
der Traumverdichtung als einer bemerkenswerten Relation zwischen Traumgedanken und
Trauminhalt.
Am greifbarsten wird die Verdichtungsarbeit des Traums, wenn sie Worte und Namen zu ihren
Objekten gewählt hat. Worte werden vom Traum überhaupt häufig wie Dinge behandelt und
erfahren dann dieselben Zusammensetzungen wie die Dingvorstellungen. Komische und seltsame
Wortschöpfungen sind das Ergebnis solcher Träume.
I
Als mir einmal ein Kollege einen von ihm verfaßten Aufsatz überschickte, in welchem eine
physiologische Entdeckung der Neuzeit nach meinem Urteil überschätzt und vor allem in
überschwenglichen Ausdrücken abgehandelt war, da träumte ich die nächste Nacht einen Satz,
der sich offenbar auf diese Abhandlung bezog: »Das ist ein wahrhaft norekdaler Stil.« Die
Auflösung des Wortgebildes bereitete mir anfänglich Schwierigkeiten; es war nicht zweifelhaft,
daß es den Superlativen »kolossal, pyramidal« parodistisch nachgeschaffen war; aber woher es
stammte, war nicht leicht zu sagen. Endlich zerfiel mir das Ungetüm in die beiden Namen Nora
und Ekdal aus zwei bekannten Schauspielen von Ibsen. Von demselben Autor, dessen letztes
Opus ich im Traum also kritisierte, hatte ich vorher einen Zeitungsaufsatz über Ibsen gelesen.
II
Eine meiner Patientinnen teilt mir einen kurzen Traum mit, der in eine unsinnige
Wortkombination ausläuft. Sie befindet sich mit ihrem Manne bei einer Bauernfestlichkeit und
sagt dann: »Das wird in einen allgemeinen ›Maistollmütz‹ ausgehen.« Dabei im Traum der
dunkle Gedanke, das sei eine Mehlspeise aus Mais, eine Art Polenta. Die Analyse zerlegt das
Wort in Mais – toll – mannstoll – Olmütz, welche Stücke sich sämtlich als Rest einer
Konversation bei Tisch mit ihren Verwandten erkennen lassen. Hinter Mais verbergen sich außer
der Anspielung auf die eben eröffnete Jubiläumsausstellung die Worte: Meißen (eine Meißner
Porzellanfigur, die einen Vogel darstellt), Miß (die Engländerin ihrer Verwandten war nach
Olmütz gereist), mies = ekel, übel im scherzhaft gebrauchten jüdischen Jargon, und eine lange
Kette von Gedanken und Anknüpfungen ging von jeder der Silben des Wortklumpens ab.
III
Ein junger Mann, bei dem ein Bekannter spät abends angeläutet hat, um eine Besuchskarte
abzugeben, träumt in der darauffolgenden Nacht: Ein Geschäftsmann wartet spät abends, um den
Zimmertelegraphen zu richten. Nachdem er weggegangen ist, läutet es noch immer, nicht
kontinuierlich, sondern nur in einzelnen Schlägen. Der Diener holt den Mann wieder, und der
sagt: Es ist doch merkwürdig, daß auch Leute, die sonst tutelrein sind, solche Angelegenheiten
nicht zu behandeln verstehen.
Der indifferente Traumanlaß deckt, wie man sieht, nur eines der Elemente des Traumes. Zur
Bedeutung ist er überhaupt nur gekommen, indem er sich an ein früheres Erlebnis des Träumers
angereiht hat, das, an sich auch gleichgültig, von seiner Phantasie mit stellvertretender Bedeutung
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin