Seite - 549 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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ausgestattet wurde. Als Knabe, der mit seinem Vater wohnte, schüttete er einmal schlaftrunken
ein Glas Wasser auf den Boden, so daß das Kabel des Zimmertelegraphen durchtränkt wurde und
das kontinuierliche Läuten den Vater im Schlaf störte. Da das kontinuierliche Läuten dem
Naßwerden entspricht, so werden dann »einzelne Schläge« zur Darstellung des Tropfenfallens
verwendet. Das Wort »tutelrein« zerlegt sich aber nach drei Richtungen und zielt damit auf drei
der in den Traumgedanken vertretenen Materien: »Tutel« = Kuratel bedeutet Vormundschaft;
Tutel (vielleicht »Tuttel«) ist eine vulgäre Bezeichnung der weiblichen Brust, und Bestandteil
»rein« übernimmt die ersten Silben des Zimmertelegraphen um »zimmerrein« zu bilden, was mit
dem Naßmachen des Fußbodens viel zu tun hat und überdies an einen der in der Familie des
Träumers vertretenen Namen anklingt[117].
IV
In einem längeren wüsten Traum von mir, der eine Schiffsreise zum scheinbaren Mittelpunkt hat,
kommt es vor, daß die nächste Station Hearsing heißt, die nächst weitere aber Fließ. Letzteres ist
der Name meines Freundes in B., der oft das Ziel meiner Reise gewesen ist. Hearsing aber ist
kombiniert aus den Ortsnamen unserer Wiener Lokalstrecke, die so häufig auf ing ausgehen:
Hietzing, Liesing, Mödling (Medelitz, meae deliciae der alte Name, also »meine Freud«), und
dem englischen Hearsay = Hörensagen, was auf Verleumdung deutet und die Beziehung zu dem
indifferenten Traumerreger des Tages herstellt, einem Gedicht in den Fliegenden Blättern von
einem verleumderischen Zwerg, »Sagter Hatergesagt«. Durch Beziehung der Endsilbe »ing« zum
Namen Fließ gewinnt man »Vlissingen«, wirklich die Station der Seereise, die mein Bruder
berührt, wenn er von England zu uns auf Besuch kommt. Der englische Name von Vlissingen
lautet aber Flushing, was in englischer Sprache Erröten bedeutet und an die Patienten mit
»Errötensangst« mahnt, die ich behandle, auch an eine rezente Publikation Bechterews über diese
Neurose, die mir Anlaß zu ärgerlichen Empfindungen gegeben hat.
V
Ein anderes Mal habe ich einen Traum, der aus zwei gesonderten Stücken besteht. Das erste ist
das lebhaft erinnerte Wort »Autodidasker«, das andere deckt sich getreu mit einer vor Tagen
produzierten, kurzen und harmlosen Phantasie des Inhalts, daß ich dem Professor N., wenn ich
ihn nächstens sehe, sagen muß: »Der Patient, über dessen Zustand ich Sie zuletzt konsultiert
habe, leidet wirklich nur an einer Neurose, ganz wie Sie vermutet haben.« Das neugebildete
»Autodidasker« hat nun nicht nur der Anforderung zu genügen, daß es komprimierten Sinn
enthält oder vertritt, es soll auch dieser Sinn in gutem Zusammenhange mit meinem aus dem
Wachen wiederholten Vorsatze stehen, dem Professor N. jene Genugtuung zu geben.
Nun zerlegt sich Autodidasker leicht in Autor, Autodidakt und Lasker, an den sich der Name
Lassalle schließt. Die ersten dieser Worte führen zu der – dieses Mal bedeutsamen –
Veranlassung des Traumes: Ich hatte meiner Frau mehrere Bände eines bekannten Autors
mitgebracht, mit dem mein Bruder befreundet ist und der, wie ich erfahren habe, aus demselben
Orte stammt wie ich (J. J. David). Eines Abends sprach sie mit mir über den tiefen Eindruck, den
ihr die ergreifend traurige Geschichte eines verkommenen Talents in einer der Davidschen
Novellen gemacht hatte, und unsere Unterhaltung wendete sich darauf den Spuren von Begabung
zu, die wir an unseren eigenen Kindern wahrnehmen. Unter der Herrschaft des eben Gelesenen
äußerte sie eine Besorgnis, die sich auf die Kinder bezog, und ich tröstete sie mit der Bemerkung,
daß gerade solche Gefahren durch die Erziehung abgewendet werden können. In der Nacht ging
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin