Seite - 580 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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– Alle in die Länge reichenden Objekte, Stöcke, Baumstämme, Schirme (des der Erektion
vergleichbaren Aufspannens wegen!), alle länglichen und scharfen Waffen: Messer, Dolche,
Piken, wollen das männliche Glied vertreten. Ein häufiges, nicht recht verständliches Symbol
desselben ist die Nagelfeile (des Reibens und Schabens wegen?). – Dosen, Schachteln, Kästen,
Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib, aber auch Höhlen, Schiffe und alle Arten von
Gefäßen. – Zimmer im Traume sind zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen
Eingänge und Ausgänge macht an dieser Auslegung gerade nicht irre.[151] Das Interesse, ob das
Zimmer »offen« oder »verschlossen« ist, wird in diesem Zusammenhange leicht verständlich.
(Vgl. den Traum Doras im ›Bruchstück einer Hysterie-Analyse‹.) Welcher Schlüssel das Zimmer
aufsperrt, braucht dann nicht ausdrücklich gesagt zu werden; die Symbolik von Schloß und
Schlüssel hat Uhland im Lied vom ›Grafen Eberstein‹ zur anmutigsten Zote gedient. – Der
Traum, durch eine Flucht von Zimmern zu gehen, ist ein Bordell- oder Haremstraum. Er wird
aber, wie H. Sachs an schönen Beispielen gezeigt hat, zur Darstellung der Ehe (Gegensatz)
verwendet. – Eine interessante Beziehung zur infantilen Sexualforschung ergibt sich, wenn der
Träumer von zwei Zimmern träumt, die früher eines waren, oder ein ihm bekanntes Zimmer einer
Wohnung im Traume in zwei geteilt sieht oder das Umgekehrte. In der Kindheit hat man das
weibliche Genitale (den Popo) für einen einzigen Raum gehalten (die infantile Kloakentheorie)
und erst später erfahren, daß diese Körperregion zwei gesonderte Höhlungen und Öffnungen
umfaßt. – Stiegen, Leitern, Treppen, respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts
als abwärts, sind symbolische Darstellungen des Geschlechtsaktes[152]. – Glatte Wände, über die
man klettert, Fassaden von Häusern, an denen man sich – häufig unter starker Angst – herabläßt,
entsprechen aufrechten menschlichen Körpern, wiederholen im Traum wahrscheinlich die
Erinnerung an das Emporklettern des kleinen Kindes an Eltern und Pflegepersonen. Die »glatten«
Mauern sind Männer; an den »Vorsprüngen« der Häuser hält man sich nicht selten in der
Traumangst fest. – Tische, gedeckte Tische und Bretter sind gleichfalls Frauen, wohl des
Gegensatzes wegen, der hier die Körperwölbungen aufhebt. »Holz« scheint überhaupt nach
seinen sprachlichen Beziehungen ein Vertreter des weiblichen Stoffes (Materie) zu sein. Der
Name der Insel Madeira bedeutet im Portugiesischen: Holz. Da »Tisch und Bett« die Ehe
ausmachen, wird im Traum häufig der erstere für das letztere gesetzt und, soweit es angeht, der
sexuelle Vorstellungskomplex auf den Eßkomplex transponiert. – Von Kleidungsstücken ist der
Hut einer Frau sehr häufig mit Sicherheit als Genitale, und zwar des Mannes, zu deuten. Ebenso
der Mantel, wobei es dahingestellt bleibt, welcher Anteil an dieser Symbolverwendung dem
Wortanklang zukommt. In Träumen der Männer findet man häufig die Krawatte als Symbol des
Penis, wohl nicht nur darum, weil sie lange herabhängt und für den Mann charakteristisch ist,
sondern auch, weil man sie nach seinem Wohlgefallen auswählen kann, eine Freiheit, die beim
Eigentlichen dieses Symbols von der Natur verwehrt ist[153]. Personen, die dies Symbol im
Traume verwenden, treiben im Leben oft großen Luxus mit Krawatten und besitzen förmliche
Sammlungen von ihnen. – Alle komplizierten Maschinerien und Apparate der Träume sind mit
großer Wahrscheinlichkeit Genitalien – in der Regel männliche –, in deren Beschreibung sich die
Traumsymbolik so unermüdlich wie die Witzarbeit erweist. Ganz unverkennbar ist es auch, daß
alle Waffen und Werkzeuge zu Symbolen des männlichen Gliedes verwendet werden: Pflug,
Hammer, Flinte, Revolver, Dolch, Säbel usw. – Ebenso sind viele Landschaften der Träume,
besonders solche mit Brücken oder mit bewaldeten Bergen, unschwer als Genitalbeschreibungen
zu erkennen. Marcinowski hat eine Reihe von Beispielen gesammelt, in denen die Träumer ihre
Träume durch Zeichnungen erläuterten, welche die darin vorkommenden Landschaften und
Räumlichkeiten darstellen sollten. Diese Zeichnungen machen den Unterschied von manifester
und latenter Bedeutung im Traume sehr anschaulich. Während sie, arglos betrachtet, Pläne,
Landkarten u.
dgl. zu bringen scheinen, enthüllen sie sich einer eindringlicheren Untersuchung
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin