Seite - 641 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Analyse unterzogen habe.
III
Ein Schloß am Meere, später liegt es nicht direkt am Meer, sondern an einem schmalen Kanal,
der ins Meer führt. Ein Herr P. ist der Gouverneur. Ich stehe mit ihm in einem großen
dreifenstrigen Salon, vor dem sich Mauervorsprünge wie Festungszinnen erheben. Ich bin etwa
als freiwilliger Marineoffizier der Besatzung zugeteilt. Wir befürchten das Eintreffen von
feindlichen Kriegsschiffen, da wir uns im Kriegszustand befinden. Herr P. hat die Absicht
wegzugehen; er erteilt mir Instruktionen, was in dem befürchteten Falle zu geschehen hat. Seine
kranke Frau befindet sich mit den Kindern im gefährdeten Schloß. Wenn das Bombardement
beginnt, soll der große Saal geräumt werden. Er atmet schwer und will sich entfernen; ich halte
ihn zurück und frage, auf welche Weise ich ihm nötigenfalls Nachricht zukommen lassen soll.
Darauf sagt er noch etwas, sinkt aber gleich darauf tot um. Ich habe ihn wohl mit den Fragen
überflüssigerweise angestrengt. Nach seinem Tode, der mir weiter keinen Eindruck macht,
Gedanken, ob die Witwe im Schlosse bleiben wird, ob ich dem Oberkommando den Tod anzeigen
und als der nächste im Befehl die Leitung des Schlosses übernehmen soll. Ich stehe nun am
Fenster und mustere die vorbeifahrenden Schiffe; es sind Kauffahrer, die auf dem dunklen
Wasser rapid vorbeisausen, einige mit mehreren Kaminen, andere mit bauschiger Decke (die
ganz ähnlich ist wie die Bahnhofsbauten im – nicht erzählten – Vortraum). Dann steht mein
Bruder neben mir, und wir schauen beide aus dem Fenster auf den Kanal. Bei einem Schiff
erschrecken wir und rufen: Da kommt das Kriegsschiff. Es zeigt sich aber, daß nur dieselben
Schiffe zurückkehren, die ich schon kenne. Nun kommt ein kleines Schiff, komisch abgeschnitten,
so daß es mitten in seiner Breite endigt; auf Deck sieht man eigentümliche becher- oder
dosenartige Dinge. Wir rufen wie aus einem Munde: Das ist das Frühstücksschiff.
Die rasche Bewegung der Schiffe, das tiefdunkle Blau des Wassers, der braune Rauch der
Kamine, das alles ergibt zusammen einen hochgespannten, düsteren Eindruck.
Die Örtlichkeiten in diesem Traume sind aus mehreren Reisen an die Adria zusammengetragen
(Miramare, Duino, Venedig, Aquileja). Eine kurze, aber genußreiche Osterfahrt nach Aquileja
mit meinem Bruder, wenige Wochen vor dem Traume, war mir noch in frischer Erinnerung.
Auch der Seekrieg zwischen Amerika und Spanien und an ihn geknüpfte Besorgnisse um das
Schicksal meiner in Amerika lebenden Verwandten spielen mit hinein. An zwei Stellen dieses
Traums treten Affektwirkungen hervor. An der einen Stelle bleibt ein zu erwartender Affekt aus,
es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß mir der Tod des Gouverneurs keinen Eindruck macht;
an einer anderen Stelle, wie ich das Kriegsschiff zu sehen glaube, erschrecke ich und verspüre im
Schlaf alle Sensationen des Schreckens. Die Unterbringung der Affekte ist in diesem gut
gebauten Traum so erfolgt, daß jeder auffällige Widerspruch vermieden ist. Es ist ja kein Grund,
daß ich beim Tode des Gouverneurs erschrecken sollte, und es ist wohl angebracht, daß ich als
Kommandant des Schlosses bei dem Anblicke des Kriegsschiffes erschrecke. Nun weist aber die
Analyse nach, daß Herr P. nur ein Ersatzmann für mein eigenes Ich ist (im Traum bin ich sein
Ersatzmann). Ich bin der Gouverneur, der plötzlich stirbt. Die Traumgedanken handeln von der
Zukunft der Meinigen nach meinem vorzeitigen Tode. Kein anderer peinlicher Gedanke findet
sich in den Traumgedanken. Der Schreck, der im Traume an den Anblick des Kriegsschiffes
gelötet ist, muß von dort losgemacht und hieher gesetzt werden. Umgekehrt zeigt die Analyse,
daß die Region der Traumgedanken, aus der das Kriegsschiff genommen ist, mit den heitersten
Reminiszenzen erfüllt ist. Es war ein Jahr vorher in Venedig, wir standen an einem zauberhaft
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin