Seite - 642 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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schönen Tag an den Fenstern unseres Zimmers auf der Riva Schiavoni und schauten auf die blaue
Lagune, in der heute mehr Bewegung zu finden war als sonst. Es wurden englische Schiffe
erwartet, die feierlich empfangen werden sollten, und plötzlich rief meine Frau heiter wie ein
Kind: »Da kommt das englische Kriegsschiff!« Im Traume erschrecke ich bei den nämlichen
Worten; wir sehen wieder, daß Rede im Traum von Rede im Leben abstammt. Daß auch das
Element »englisch« in dieser Rede für die Traumarbeit nicht verlorengegangen ist, werde ich
alsbald zeigen. Ich verkehre also hier zwischen Traumgedanken und Trauminhalt Fröhlichkeit in
Schreck und brauche nur anzudeuten, daß ich mit dieser Verwandlung selbst ein Stück des
latenten Trauminhalts zum Ausdruck bringe. Das Beispiel beweist aber, daß es der Traumarbeit
freisteht, den Affektanlaß aus seinen Verbindungen in den Traumgedanken zu lösen und beliebig
anderswo im Trauminhalte einzufügen.
Ich ergreife die nebstbei sich bietende Gelegenheit, das »Frühstücksschiff«, dessen Erscheinen im
Traume eine rationell festgehaltene Situation so unsinnig abschließt, einer näheren Analyse zu
unterziehen. Wenn ich das Traumobjekt besser ins Auge fasse, so fällt mir nachträglich auf, daß
es schwarz war und durch sein Abschneiden in seiner größten Breite an diesem Ende eine
weitgehende Ähnlichkeit mit einem Gegenstand erzielte, der uns in den Museen etruskischer
Städte interessant geworden war. Es war dies eine rechteckige Tasse [Platte?] aus schwarzem
Ton, mit zwei Henkeln, auf der Dinge wie Kaffee- oder Teetassen standen, nicht ganz unähnlich
einem unserer modernen Service für den Frühstückstisch. Auf Befragen erfuhren wir, das sei die
Toilette einer etruskischen Dame mit den Schminke- und Puderbüchsen darauf; und wir sagten
uns im Scherz, es wäre nicht übel, so ein Ding der Hausfrau mitzubringen. Das Traumobjekt
bedeutet also – schwarze Toilette, Trauer, und spielt direkt auf einen Todesfall an. Mit dem
anderen Ende mahnt das Traumobjekt an den »Nachen« vom Stamme νέκυς, wie mein
sprachgelehrter Freund mir mitgeteilt, auf den in Vorzeiten die Leiche gelegt und dem Meer zur
Bestattung überlassen wurde. Hieran reiht sich, warum im Traume die Schiffe zurückkehren.
»Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.«
Es ist die Rückfahrt nach dem Schiffbruch, das Frühstücksschiff ist ja wie in seiner Breite
abgebrochen. Woher aber der Name » Frühstücks«-schiff? Hier kommt nun das »Englische« zur
Verwendung, das wir bei den Kriegsschiffen erübrigt haben. Frühstück = breakfast,
Fastenbrecher. Das Brechen gehört wieder zum Schiffbruch, das Fasten schließt sich der
schwarzen Toilette an.
An diesem Frühstücksschiffe ist aber nur der Name vom Traume neugebildet. Das Ding hat
existiert und mahnt mich an eine der heitersten Stunden der letzten Reise. Der Verpflegung in
Aquileja mißtrauend, hatten wir uns von Görz Eßwaren mitgenommen, eine Flasche des
vorzüglichsten Istrianer Weins in Aquileja eingekauft, und während der kleine Postdampfer
durch den Kanal delle Mee langsam in die öde Lagunenstrecke nach Grado fuhr, nahmen wir, die
einzigen Passagiere, in heiterster Laune auf Deck das Frühstück ein, das uns schmeckte wie
selten eines zuvor. Das war also das »Frühstücksschiff«, und gerade hinter dieser Reminiszenz
frühesten Lebensgenusses verbirgt der Traum die betäubendsten Gedanken an eine unbekannte
und unheimliche Zukunft.
Die Ablösung der Affekte von den Vorstellungsmassen, die ihre Entbindung hervorgerufen
haben, ist das Auffälligste, was ihnen bei der Traumbildung widerfährt, aber weder die einzige
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin