Seite - 1027 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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charakteristischen technischen Mittel des Witzes sich meiner Aufmerksamkeit nicht entzogen
haben.
Der Witz besitzt noch einen anderen Charakter, welcher sich unserer vom Traum herstammenden
Auffassung der Witzarbeit befriedigend fügt. Man sagt zwar, daß man den Witz »macht«, aber
man verspürt, daß man sich dabei anders benimmt, als wenn man ein Urteil fällt, einen Einwand
macht. Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten »Einfalls«.
Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird, den man dann nur
in Worte zu kleiden braucht. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten
einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und
dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit seiner Einkleidung. Manche der
Mittel des Witzes finden auch außerhalb desselben im Gedankenausdruck Verwendung, z.
B. das
Gleichnis und die Anspielung. Ich kann eine Anspielung absichtlich machen wollen. Dabei habe
ich zuerst den direkten Ausdruck meines Gedankens im Sinne (im inneren Hören), ich hemme
mich in der Äußerung desselben durch ein der Situation entsprechendes Bedenken, nehme mir
beinahe vor, den direkten Ausdruck durch eine Form des indirekten Ausdrucks zu ersetzen und
bringe dann eine Anspielung hervor; aber die so entstandene, unter meiner fortlaufenden
Kontrolle gebildete Anspielung ist niemals witzig, so brauchbar sie auch sonst sein mag; die
witzige Anspielung hingegen erscheint, ohne daß ich diese vorbereitenden Stadien in meinem
Denken verfolgen konnte. Ich will nicht zu viel Wert auf dies Verhalten legen; es ist kaum
entscheidend, aber es stimmt doch gut zu unserer Annahme, daß man bei der Witzbildung einen
Gedankengang für einen Moment fallenläßt, der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten
auftaucht.
Witze zeigen auch assoziativ ein besonderes Benehmen. Sie stehen unserem Gedächtnis häufig
nicht zur Verfügung, wenn wir sie wollen, stellen sich dafür andere Male wie ungewollt ein, und
zwar an Stellen unseres Gedankenganges, wo wir ihre Einflechtung nicht verstehen. Es sind dies
wiederum nur kleine Züge, aber immerhin Hinweise auf ihre Abkunft aus dem Unbewußten.
Suchen wir nun die Charaktere des Witzes zusammen, die sich auf seine Bildung im Unbewußten
beziehen lassen. Da ist vor allem die eigentümliche Kürze des Witzes, ein zwar nicht
unerläßliches, aber ungemein bezeichnendes Merkmal desselben. Als wir ihr zuerst begegneten,
waren wir geneigt, einen Ausdruck sparender Tendenzen in ihr zu sehen, entwerteten aber diese
Auffassung selbst durch naheliegende Einwendungen. Sie erscheint uns jetzt vielmehr als ein
Zeichen der unbewußten Bearbeitung, welche der Witzgedanke erfahren hat. Das ihr beim Traum
Entsprechende, die Verdichtung, können wir nämlich mit keinem anderen Moment als mit der
Lokalisation im Unbewußten zusammenbringen und müssen annehmen, daß im unbewußten
Denkvorgang die im Vorbewußten fehlenden Bedingungen für solche Verdichtungen gegeben
sind[49]. Es steht zu erwarten, daß beim Verdichtungsvorgang einige der ihm unterworfenen
Elemente verlorengehen, während andere, welche deren Besetzungsenergie übernehmen, durch
die Verdichtung erstarken oder überstark aufgebaut werden. Die Kürze des Witzes wäre also wie
die des Traumes eine notwendige Begleiterscheinung der in beiden vorkommenden
Verdichtungen, beide Male ein Ergebnis des Verdichtungsvorganges. Dieser Herkunft verdankte
auch die Kürze des Witzes ihren besonderen, nicht weiter angebbaren, aber der Empfindung
auffälligen Charakter.
Wir haben vorhin (S. 118) das eine Ergebnis der Verdichtung, die mehrfache Verwendung
desselben Materials, das Wortspiel, den Gleichklang, als lokalisierte Ersparung aufgefaßt und die
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin