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Das Problem der Sexualerregung
Es ist uns durchaus unaufgeklärt geblieben, woher die Sexualspannung rührt, die bei der
Befriedigung erogener Zonen gleichzeitig mit der Lust entsteht, und welches das Wesen
derselben ist[68]. Die nächste Vermutung, diese Spannung ergebe sich irgendwie aus der Lust
selbst, ist nicht nur an sich sehr unwahrscheinlich, sie wird auch hinfällig, da bei der größten
Lust, die an die Entleerung der Geschlechtsprodukte geknüpft ist, keine Spannung erzeugt,
sondern alle Spannung aufgehoben wird. Lust und Sexualspannung können also nur in indirekter
Weise zusammenhängen.
Rolle der Sexualstoffe. Außer der Tatsache, daß normalerweise allein die Entlastung von den
Sexualstoffen der Sexualerregung ein Ende macht, hat man noch andere Anhaltspunkte, die
Sexualspannung in Beziehung zu den Sexualprodukten zu bringen. Bei enthaltsamem Leben
pflegt der Geschlechtsapparat in wechselnden, aber nicht regellosen Perioden nächtlicherweise
sich unter Lustempfindung und während der Traumhalluzination eines sexuellen Aktes der
Sexualstoffe zu entledigen, und für diesen Vorgang – die nächtliche Pollution – ist die
Auffassung schwer abzuweisen, daß die Sexualspannung, die den kurzen halluzinatorischen Weg
zum Ersatz des Aktes zu finden weiß, eine Funktion der Samenanhäufung in den Reservoirs für
die Geschlechtsprodukte sei. Im gleichen Sinne sprechen die Erfahrungen, die man über die
Erschöpfbarkeit des sexuellen Mechanismus macht. Bei entleertem Samenvorrat ist nicht nur die
Ausführung des Sexualaktes unmöglich, es versagt auch die Reizbarkeit der erogenen Zonen,
deren geeignete Erregung dann keine Lust hervorrufen kann. Wir erfahren so nebenbei, daß ein
gewisses Maß sexueller Spannung selbst für die Erregbarkeit der erogenen Zonen erforderlich ist.
Man würde so zur Annahme gedrängt, die, wenn ich nicht irre, ziemlich allgemein verbreitet ist,
daß die Anhäufung der Sexualstoffe die Sexualspannung schafft und unterhält, etwa indem der
Druck dieser Produkte auf die Wandung ihrer Behälter als Reiz auf ein spinales Zentrum wirkt,
dessen Zustand von höheren Zentren wahrgenommen wird und dann für das Bewußtsein die
bekannte Spannungsempfindung ergibt. Wenn die Erregung erogener Zonen die Sexualspannung
steigert, so könnte dies nur so zugehen, daß die erogenen Zonen in vorgebildeter anatomischer
Verbindung mit diesen Zentren stehen, den Tonus der Erregung daselbst erhöhen, bei genügender
Sexualspannung den sexuellen Akt in Gang bringen und bei ungenügender die Produktion der
Geschlechtsstoffe anregen.
Die Schwäche dieser Lehre, die man z.
B. in v. Krafft-Ebings Darstellung der Sexualvorgänge
angenommen findet, liegt darin, daß sie, für die Geschlechtstätigkeit des reifen Mannes
geschaffen, auf dreierlei Verhältnisse wenig Rücksicht nimmt, deren Aufklärung sie gleichfalls
liefern sollte. Es sind dies die Verhältnisse beim Kinde, beim Weibe und beim männlichen
Kastraten. In allen drei Fällen ist von einer Anhäufung von Geschlechtsprodukten im gleichen
Sinne wie beim Manne nicht die Rede, was die glatte Anwendung des Schemas erschwert; doch
ist ohneweiters zuzugeben, daß sich Auskünfte finden ließen, welche die Unterordnung auch
dieser Fälle ermöglichen würden. Auf jeden Fall bleibt die Warnung bestehen, dem Faktor der
Anhäufung der Geschlechtsprodukte nicht Leistungen aufzubürden, deren er unfähig scheint.
Einschätzung der inneren Geschlechtsteile. Daß die Sexualerregung in beachtenswertem Grade
unabhängig von der Produktion der Geschlechtsstoffe sein kann, scheinen die Beobachtungen an
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin