Seite - 1656 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Bild der Seite - 1656 -
Text der Seite - 1656 -
IV. Die zwei Verschreibungen
Ein merkwürdiges Detail in der Geschichte unseres Malers ist die Angabe, daß er dem Teufel
zwei verschiedene Verschreibungen ausgestellt. Die erste, mit schwarzer Tinte geschriebene,
hatte den Wortlaut:
» Ich Chr. H. undterschreibe mich disen Herrn: sein leibeigent Sohn auff 9. Jahr.«
Die zweite, mit Blut geschrieben, lautet:
» Ch. H. Ich verschreibe mich disen Satan, ich sein leibeigner Sohn zu sein, vnd in 9. Jahr ihm
mein Leib vndt Seel zu zugeheren.«
Beide sollen zur Zeit der Abfassung des Trophaeum im Archiv von Mariazell im Original
vorhanden gewesen sein, beide tragen die nämliche Jahreszahl 1669.
Ich habe die beiden Verschreibungen bereits mehrmals erwähnt und unternehme es jetzt, mich
eingehender mit ihnen zu beschäftigen, obwohl gerade hier die Gefahr, Kleinigkeiten zu
überschätzen, besonders drohend erscheint.
Die Tatsache, daß sich einer dem Teufel zweimal verschreibt, so daß die erste Schrift durch die
zweite ersetzt wird, ohne aber ihre eigene Gültigkeit zu verlieren, ist ungewöhnlich. Vielleicht
befremdet sie andere weniger, die mit dem Teufelsstoff vertrauter sind. Ich konnte nur eine
besondere Eigentümlichkeit unseres Falles darin sehen und wurde mißtrauisch, als ich fand, daß
die Berichte gerade in diesem Punkt nicht zusammenstimmen. Die Verfolgung dieser
Widersprüche wird uns in unerwarteter Weise zu einem tieferen Verständnis der
Krankengeschichte leiten.
Das Geleitschreiben des Pfarrers von Pottenbrunn weist die einfachsten und klarsten Verhältnisse
auf. In ihm ist nur von einer Verschreibung die Rede, die der Maler vor neun Jahren mit Blut
gefertigt und die nun in den nächsten Tagen, am 24. September, fällig wird, sie wäre also am
24. September 1668 ausgestellt worden; leider ist diese Jahreszahl, die sich mit Sicherheit
ableiten läßt, nicht ausdrücklich genannt.
Der Attest des Abtes Franciscus, wie wir wissen, wenige Tage später datiert (12. Sept. 1677),
erwähnt bereits einen komplizierteren Sachverhalt. Es liegt nahe anzunehmen, daß der Maler
inzwischen genauere Mitteilungen gemacht hatte. In diesem Attest wird erzählt, daß der Maler
zwei Verschreibungen von sich gegeben, die eine im Jahre 1668 (wie es auch nach dem
Geleitbrief sein müßte) mit schwarzer Tinte geschrieben, die andere aber » sequenti anno 1669«
mit Blut geschrieben. Die Verschreibung, die er am Tage Maria Geburt zurückbekam, war die
mit Blut geschriebene, also die spätere, 1669 ausgestellte. Dies geht nicht aus dem Attest des
Abtes hervor, denn dort heißt es im weiteren einfach: » schedam redderet« und » schedam sibi
porrigentem conspexisset«, als ob es sich nur um ein einziges Schriftstück handeln könnte. Aber
wohl folgt es aus dem weiteren Verlauf der Geschichte sowie aus dem farbigen Titelblatt des
Trophaeum, wo auf dem Zettel, den der dämonische Drache hält, deutlich rote Schrift zu sehen
ist. Der weitere Verlauf ist, wie bereits erwähnt, der, daß der Maler im Mai 1678 nach Mariazell
wiederkehrt, nachdem er in Wien neuerliche Anfechtungen des Bösen erfahren, und das
Ansuchen stellt, es möge ihm durch einen neuerlichen Gnadenakt der heiligen Mutter auch dies
1656
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin