Seite - 1683 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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haben einen großen Wiwimacher, und du fürchtest dich eigentlich vor dem großen Wiwimacher.«
Hans: »Aber ich habe noch nie von den großen Tieren den Wiwimacher gesehen.«[14]
Ich: »Aber vom Pferde doch, und das Pferd ist auch ein großes Tier.«
Hans: »Oh, vom Pferd oft. Einmal in Gmunden, wie der Wagen vor dem Hause gestanden ist,
einmal vor dem Hauptzollamt.«
Ich: »Wie du klein warst, bist du wahrscheinlich in Gmunden in einen Stall gegangen …«
Hans (unterbrechend): »Ja, jeden Tag, wenn in Gmunden die Pferde nach Haus gekommen sind,
bin ich in den Stall gegangen.«
Ich: »– und hast dich wahrscheinlich gefürchtet, wie du einmal den großen Wiwimacher vom
Pferde gesehen hast, aber davor brauchst du dich nicht zu fürchten. Große Tiere haben große
Wiwimacher, kleine Tiere kleine Wiwimacher.«
Hans: »Und alle Menschen haben Wiwimacher, und der Wiwimacher wächst mit mir, wenn ich
größer werde; er ist ja angewachsen.«
Damit schloß das Gespräch. In den folgenden Tagen scheint die Furcht wieder etwas größer; er
traut sich kaum vors Haustor, wohin man ihn nach dem Essen führt.
Hansens letzte Trostrede wirft ein Licht auf die Situation und gestattet uns, die Behauptungen des
Vaters ein wenig zu korrigieren. Es ist wahr, daß er bei den großen Tieren Angst hat, weil er an
deren großen Wiwimacher denken muß, aber man kann eigentlich nicht sagen, daß er sich vor
dem großen Wiwimacher selbst fürchtet. Die Vorstellung eines solchen war ihm früher
entschieden lustbetont, und er versuchte mit allem Eifer, sich dessen Anblick zu verschaffen.
Dies Vergnügen ist ihm seither verleidet worden durch die allgemeine Verkehrung von Lust in
Unlust, die – auf noch nicht aufgeklärte Weise – seine ganze Sexualforschung betroffen hat, und
was uns deutlicher ist, durch gewisse Erfahrungen und Erwägungen, die zu peinlichen
Ergebnissen führten. Aus seiner Tröstung: Der Wiwimacher wächst mit mir, wenn ich größer
werde, läßt sich schließen, daß er bei seinen Beobachtungen beständig verglichen hat und von der
Größe seines eigenen Wiwimachers sehr unbefriedigt geblieben ist. An diesen Defekt erinnern
ihn die großen Tiere, die ihm aus diesem Grunde unangenehm sind. Weil aber der ganze
Gedankengang wahrscheinlich nicht klar bewußt werden kann, wandelt sich auch diese peinliche
Empfindung in Angst, so daß seine gegenwärtige Angst sich auf der ehemaligen Lust wie auf der
aktuellen Unlust aufbaut. Wenn einmal der Angstzustand hergestellt ist, so zehrt die Angst alle
anderen Empfindungen auf; mit fortschreitender Verdrängung, je mehr die schon bewußt
gewesenen affekttragenden Vorstellungen ins Unbewußte rücken, können sich alle Affekte in
Angst verwandeln.
Die sonderbare Bemerkung Hansens: »er ist ja angewachsen«, läßt im Zusammenhange der
Tröstung vieles erraten, was er nicht aussprechen kann, auch in dieser Analyse nicht
ausgesprochen hat. Ich ergänze da ein Stück nach meinen Erfahrungen aus den Analysen
Erwachsener, aber ich hoffe, die Einschaltung wird nicht als eine gewaltsame und willkürliche
beurteilt werden. »Er ist ja angewachsen«: wenn das zum Trutze und Troste gedacht ist, so läßt es
an die alte Drohung der Mutter denken, sie werde ihm den Wiwimacher abschneiden lassen,
1683
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin