Seite - 2394 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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bei diesen anderen, sage ich, ist es kaum zu vermeiden, daß nicht die persönliche Beziehung zum
Arzte sich wenigstens eine Zeitlang ungebührlich in den Vordergrund drängt; ja, es scheint, als
ob eine solche Einwirkung des Arztes die Bedingung sei, unter welcher die Lösung des Problems
allein gestattet ist. Ich meine nicht, daß es an diesem Sachverhalt etwas Wesentliches ändert, ob
man sich der Hypnose bedienen konnte oder dieselbe umgehen und ersetzen mußte. Nur fordert
die Billigkeit hervorzuheben, daß diese Übelstände, obwohl unzertrennlich von unserem
Verfahren, doch nicht diesem zur Last gelegt werden können. Es ist vielmehr recht einsichtlich,
daß sie in den Vorbedingungen der Neurosen, die geheilt werden sollen, begründet sind und daß
sie sich an jede ärztliche Tätigkeit heften werden, die mit einer intensiven Bekümmerung um den
Kranken einhergeht und eine psychische Veränderung in ihm herbeiführt. Auf die Anwendung
der Hypnose konnte ich keinen Schaden und keine Gefahr zurückführen, so ausgiebigen
Gebrauch ich auch in einzelnen Fällen von diesem Mittel machte. Wo ich Schaden angestiftet
habe, lagen die Gründe anders und tiefer. Überblicke ich die therapeutischen Bemühungen dieser
Jahre, seitdem mir die Mitteilungen meines verehrten Lehrers und Freundes J. Breuer die
kathartische Methode in die Hand gegeben haben, so meine ich, ich habe weit mehr und häufiger
als geschadet doch genützt und manches zustande gebracht, wozu sonst kein therapeutisches
Mittel gereicht hätte. Es war im ganzen, wie es die ›Vorläufige Mitteilung‹ ausdrückt, »ein
bedeutender therapeutischer Gewinn«.
Noch einen Gewinn bei Anwendung dieses Verfahrens muß ich hervorheben. Ich weiß mir einen
schweren Fall von komplizierter Neurose mit viel oder wenig Beimengung von Hysterie nicht
besser zurechtzulegen, als indem ich ihn einer Analyse mit der Breuerschen Methode unterziehe.
Dabei geht zunächst weg, was den hysterischen Mechanismus zeigt; den Rest von Erscheinungen
habe ich unterdes bei dieser Analyse deuten und auf die Ätiologie zurückführen gelernt und habe
so die Anhaltspunkte dafür gewonnen, was von dem Rüstzeuge der Neurosentherapie im
betreffenden Falle angezeigt ist. Wenn ich an die gewöhnliche Verschiedenheit zwischen meinem
Urteile über einen Fall von Neurose vor und nach einer solchen Analyse denke, gerate ich fast in
Versuchung, diese Analyse für unentbehrlich zur Kenntnis einer neurotischen Erkrankung zu
halten. Ich habe mich ferner daran gewöhnt, die Anwendung der kathartischen Psychotherapie
mit einer Liegekur zu verbinden, die nach Bedürfnis zur vollen Weir Mitchellschen Mastkur
ausgestaltet wird. Ich habe dabei den Vorteil, daß ich so einerseits die während einer
Psychotherapie sehr störende Einmengung neuer psychischer Eindrücke vermeide, anderseits die
Langweile der Mastkur, in der die Kranken nicht selten in ein schädliches Träumen verfallen,
ausschließe. Man sollte erwarten, daß die oft sehr erhebliche psychische Arbeit, die man während
einer kathartischen Kur den Kranken aufbürdet, die Erregungen infolge der Reproduktion
traumatischer Erlebnisse, dem Sinne der Weir Mitchellschen Ruhekur zuwiderliefe und die
Erfolge verhinderte, die man von ihr zu sehen gewohnt ist. Allein das Gegenteil trifft zu; man
erreicht durch solche Kombinationen der Breuerschen mit der Weir Mitchellschen Therapie alle
körperliche Aufbesserung, die man von letzterer erwartet, und so weitgehende psychische
Beeinflussung, wie sie ohne Psychotherapie bei der Ruhekur niemals zustande kommt.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin