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[12] Daß dieser Witz infolge eines anderen Moments doch einer höheren Einschätzung würdig
ist, kann erst an späterer Stelle gezeigt werden.
[13] Die Güte dieser Witze beruht darauf, daß gleichzeitig ein anderes Mittel der Technik von
weit höherer Ordnung zur Anwendung gekommen ist (s. unten). – An dieser Stelle kann ich
übrigens auch auf eine Beziehung des Witzes zum Rätsel aufmerksam machen. Der Philosoph
Fr. Brentano hat eine Gattung von Rätseln gedichtet, in denen eine kleine Anzahl von Silben zu
erraten ist, die, zu einem Worte vereinigt, oder so oder anders zusammengefaßt, einen anderen
Sinn ergeben, z. B.:
… ließ mich das Platanenblatt ahnen
oder:
wie du dem Inder hast verschrieben, in der Hast verschrieben?
Die zu erratenden Silben werden im Zusammenhang des Satzes durch das entsprechend oft zu
wiederholende Füllwort dal ersetzt. Ein Kollege des Philosophen übte eine geistreiche Rache, als
er von der Verlobung des in reiferen Jahren stehenden Mannes hörte, indem er fragte: Daldaldal
daldaldali (Brentano brennt-a-no?)
Was macht den Unterschied zwischen diesen Daldal-Rätseln und den obenstehenden Witzen?
Daß in ersteren die Technik als Bedingung angegeben ist und der Wortlaut erraten werden soll,
während in den Witzen der Wortlaut mitgeteilt und die Technik versteckt ist.
[14] Ebensowenig wie in dem vortrefflichen, bei Brill angeführten Witz von Oliver Wendell
Holmes: »Put not your trust in money, but put your money in trust.« Es wird hier ein
Widerspruch angekündigt, der nicht erfolgt. Der zweite Teil des Satzes nimmt diesen
Widerspruch zurück. Übrigens ein gutes Beispiel für die Unübersetzbarkeit der Witze von solcher
Technik.
[15] Brill zitiert einen ganz analogen Modifikationswitz: Amantes amentes (Verliebte = Narren).
[16] »›Wenn Saphir‹, so sagt Heymans, ›einem reichen Gläubiger, dem er einen Besuch abstattet,
auf die Frage: Sie kommen wohl um die 300 Gulden, antwortet: Nein, Sie kommen um die
300 Gulden, so ist eben dasjenige, was er meint, in einer sprachlich vollkommen korrekten und
auch keineswegs ungewöhnlichen Form ausgedrückt. In der Tat ist es so: Die Antwort Saphirs ist
an sich betrachtet in schönster Ordnung. Wir verstehen auch, was er sagen will, nämlich daß er
seine Schuld nicht zu bezahlen beabsichtige. Aber Saphir gebraucht dieselben Worte, die vorher
von seinem Gläubiger gebraucht wurden. Wir können also nicht umhin, sie auch in dem Sinne zu
nehmen, in welchem sie von jenem gebraucht wurden. Und dann hat Saphirs Antwort gar keinen
Sinn mehr. Der Gläubiger »kommt« ja überhaupt nicht. Er kann ja auch nicht um die 300 Gulden
kommen, d.
h.: er kann nicht kommen, um 300 Gulden zu bringen. Zudem hat er als Gläubiger
nicht zu bringen, sondern zu fordern. Indem die Worte Saphirs in solcher Weise zugleich als Sinn
und als Unsinn erkannt werden, entsteht die Komik« (Lipps, 1898, S. 97).
Nach der obenstehenden, zur Aufklärung vollständig wiedergegebenen Fassung ist die Technik
dieses Witzes weit einfacher, als Lipps meint. Saphir kommt nicht, um die 300 Gulden zu
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin