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jene Wege findet, deren Erregung das somatische Bild des Lachens ergibt, scheint mir Spencer
nicht glücklich gewesen zu sein. Zu dem vor und seit Darwin ausführlich behandelten, aber
immer noch nicht endgültig erledigten Thema der physiologischen Aufklärung des Lachens, also
der Ableitung oder Deutung der für das Lachen charakteristischen Muskelaktionen, möchte ich
einen einzigen Beitrag liefern. Meines Wissens tritt die für das Lächeln bezeichnende Grimasse
der Mundwinkelverziehung zuerst beim befriedigten und übersättigten Säugling auf, wenn er
eingeschläfert die Brust fahren läßt. Sie ist dort eine richtige Ausdrucksbewegung, da sie dem
Entschluß, keine Nahrung mehr aufzunehmen, entspricht, gleichsam ein »Genug« oder vielmehr
»Übergenug« darstellt. Dieser ursprüngliche Sinn der lustvollen Übersättigung mag dem Lächeln,
welches ja das Grundphänomen des Lachens bleibt, die spätere Beziehung zu den lustvollen
Abfuhrvorgängen verschafft haben.
[46] Vgl. die Abschnitte in dem zitierten Buch von Lipps, Kapitel VIII. ݆ber die psychische
Kraft‹ usf. (Dazu Traumdeutung, VII.) – »Es gilt also der allgemeine Satz: Die Faktoren des
psychischen Lebens sind nicht die Bewußtseinsinhalte, sondern die an sich unbewußten
psychischen Vorgänge. Die Aufgabe der Psychologie, falls sie nicht bloß Bewußtseinsinhalte
beschreiben will, muß dann darin bestehen, aus der Beschaffenheit der Bewußtseinsinhalte und
ihres zeitlichen Zusammenhanges die Natur dieser unbewußten Vorgänge zu erschließen. Die
Psychologie muß sein eine Theorie dieser Vorgänge. Eine solche Psychologie wird aber sehr bald
finden, daß es gar mancherlei Eigenschaften dieser Vorgänge gibt, die in den entsprechenden
Bewußtseinsinhalten nicht repräsentiert sind.« (Lipps, loc. cit. S. 123.)
[47] Der Gesichtspunkt des Status nascendi ist von Heymans (1896) in etwas anderem
Zusammenhange geltend gemacht worden.
[48] An einem Beispiel von Verschiebungswitz möchte ich noch einen anderen interessanten
Charakter der Witztechnik erörtern. Die geniale Schauspielerin Gallmeyer soll einmal auf die
unerwünschte Frage »Wie alt?« »im Gretchenton und mit verschämtem Augenniederschlag«
geantwortet haben: »In Brunn.« Das ist nun das Muster einer Verschiebung; nach dem Alter
gefragt, antwortet sie mit der Angabe ihres Geburtsortes, antizipiert also die nächste Frage und
gibt zu verstehen: Diese eine Frage möchte ich übergangen wissen. Und doch fühlen wir, daß der
Charakter des Witzes hier nicht ungetrübt zum Ausdruck kommt. Das Abspringen von der Frage
ist zu klar, die Verschiebung allzu augenfällig. Unsere Aufmerksamkeit versteht sofort, daß es
sich um eine beabsichtigte Verschiebung handelt. Bei den anderen Verschiebungswitzen ist die
Verschiebung verhüllt, unsere Aufmerksamkeit wird durch das Bemühen, sie festzustellen,
gefesselt. In einem der Verschiebungswitze (S. 54) »Was mache ich um ½7 Uhr in Preßburg?«
als Antwort auf die Empfehlung des Reitpferdes ist die Verschiebung gleichfalls eine
vordringliche, aber zum Ersatz dafür wirkt sie als unsinnig verwirrend auf die Aufmerksamkeit,
während wir beim Verhör der Schauspielerin ihre Verschiebungsantwort sofort unterzubringen
wissen. – In anderer Richtung weichen vom Witz die sogenannten »Scherzfragen« ab, die sich
sonst der besten Techniken bedienen mögen. Ein Beispiel einer Scherzfrage mit
Verschiebungstechnik ist folgendes: Was ist ein Kannibale, der seinen Vater und seine Mutter
aufgefressen hat? – Antwort: Waise. – Und wenn er alle seine anderen Verwandten mit dazu
gefressen hat? – Universalerbe. – Und wo findet solch ein Scheusal noch Sympathie? – Im
Konversationslexikon unter S. Die Scherzfragen sind darum keine vollen Witze, weil die
geforderten witzigen Antworten nicht wie die Anspielungen, Auslassungen usw. des Witzes
erraten werden können.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin