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Gewebe des Organes (die »Pubertätsdrüse«).
In einem Falle gelang die geschlechtliche Umstimmung auch bei einem Manne, der seine Hoden
durch tuberkulöse Erkrankung eingebüßt hatte. Er hatte sich im Geschlechtsleben als passiver
Homosexueller weiblich benommen und zeigte sehr deutlich ausgeprägte weibliche
Geschlechtscharaktere sekundärer Art (in Behaarung, Bartwuchs, Fettansatz an Mammae und
Hüften). Nach der Einpflanzung eines kryptorchen Menschenhodens begann dieser Mann sich in
männlicher Weise zu benehmen und seine Libido in normaler Weise aufs Weib zu richten.
Gleichzeitig schwanden die somatischen femininen Charaktere. (A. Lipschütz, 1919.)
Es wäre ungerechtfertigt zu behaupten, daß durch diese schönen Versuche die Lehre von der
Inversion auf eine neue Basis gestellt wird, und voreilig von ihnen geradezu einen Weg zur
allgemeinen »Heilung« der Homosexualität zu erwarten. W. Fließ hat mit Recht betont, daß diese
experimentellen Erfahrungen die Lehre von der allgemeinen bisexuellen Anlage der höheren
Tiere nicht entwerten. Es erscheint mir vielmehr wahrscheinlich, daß sich aus weiteren solchen
Untersuchungen eine direkte Bestätigung der angenommenen Bisexualität ergeben wird.
[12] Der eingreifendste Unterschied zwischen dem Liebesleben der Alten Welt und dem unsrigen
liegt wohl darin, daß die Antike den Akzent auf den Trieb selbst, wir aber auf dessen Objekt
verlegen. Die Alten feierten den Trieb und waren bereit, auch ein minderwertiges Objekt durch
ihn zu adeln, während wir die Triebbetätigung an sich geringschätzen und sie nur durch die
Vorzüge des Objekts entschuldigen lassen.
[13] Ich kann mir nicht versagen, hiebei an die gläubige Gefügigkeit der Hypnotisierten gegen
ihren Hypnotiseur zu erinnern, welche mich vermuten läßt, daß das Wesen der Hypnose in die
unbewußte Fixierung der Libido auf die Person des Hypnotiseurs (vermittels der masochistischen
Komponente des Sexualtriebes) zu verlegen ist. – S. Ferenczi hat diesen Charakter der
Suggerierbarkeit mit dem »Elternkomplex« verknüpft. (1909.)
[14] Es ist indes zu bemerken, daß die Sexualüberschätzung nicht bei allen Mechanismen der
Objektwahl ausgebildet wird und daß wir späterhin eine andere und direktere Erklärung für die
sexuelle Rolle der anderen Körperteile kennenlernen werden. Das Moment des »Reizhungers«,
das von Hoche und I. Bloch zur Erklärung des Übergreifens von sexuellem Interesse auf andere
Körperteile als die Genitalien herangezogen wird, scheint mir diese Bedeutung nicht zu
verdienen. Die verschiedenen Wege, auf denen die Libido wandelt, verhalten sich zueinander von
Anfang an wie kommunizierende Röhren, und man muß dem Phänomen der Kollateralströmung
Rechnung tragen.
[15] Das Weib läßt in typischen Fällen eine »Sexualüberschätzung« des Mannes vermissen,
versäumt dieselbe aber fast niemals gegen das von ihr geborene Kind.
[16] Diese Schwäche entspräche der konstitutionellen Voraussetzung. Die Psychoanalyse hat als
akzidentelle Bedingung die frühzeitige Sexualeinschüchterung nachgewiesen, welche vom
normalen Sexualziel abdrängt und zum Ersatz desselben anregt.
[17] Tiefer eindringende psychoanalytische Untersuchung hat zu einer berechtigten Kritik der
Binetschen Behauptung geführt. Alle hieher gehörigen Beobachtungen haben ein erstes
Zusammentreffen mit dem Fetisch zum Inhalt, in welchem sich dieser bereits im Besitz des
sexuellen Interesses zeigt, ohne daß man aus den Begleitumständen verstehen könnte, wie er zu
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin