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[41] Eine mögliche anatomische Analogie zu dem von mir behaupteten Verhalten der infantilen
Sexualfunktion wäre durch den Fund von Bayer (1902) gegeben, daß die inneren
Geschlechtsorgane (Uterus) Neugeborener in der Regel größer sind als die älterer Kinder. Indes
ist die Auffassung dieser durch Halban auch für andere Teile des Genitalapparates festgestellten
Involution nach der Geburt nicht sichergestellt. Nach Halban (1904) ist dieser
Rückbildungsvorgang nach wenigen Wochen des Extrauterinlebens abgelaufen. – Die Autoren,
welche den interstitiellen Anteil der Keimdrüse als das geschlechtsbestimmende Organ
betrachten, sind durch anatomische Untersuchungen dazu geführt worden, ihrerseits von
infantiler Sexualität und sexueller Latenzzeit zu reden. Ich zitiere aus dem S. 58 [in der
Anmerkung 14] erwähnten Buche von Lipschütz über die Pubertätsdrüse: »Man wird den
Tatsachen viel eher gerecht, wenn man sagt, daß die Ausreifung der Geschlechtsmerkmale, wie
sie sich in der Pubertät vollzieht, nur auf einem um diese Zeit stark beschleunigten Ablauf von
Vorgängen beruht, die schon viel früher begonnen haben – unserer Auffassung nach schon im
embryonalen Leben.« (1919, 168.) – »Was man bisher als Pubertät schlechtweg bezeichnet hat,
ist wahrscheinlich nur eine zweite große Phase der Pubertät, die um die Mitte des zweiten
Jahrzehntes einsetzt… Das Kindesalter, von der Geburt bis zu Beginn der zweiten großen Phase
gerechnet, könnte man als die ›intermediäre Phase der Pubertät‹ bezeichnen.« (Ibid., 170.) –
Diese in einem Referat von Ferenczi (1920) hervorgehobene Übereinstimmung anatomischer
Befunde mit der psychologischen Beobachtung wird durch die eine Angabe gestört, daß der
»erste Gipfelpunkt« der Entwicklung des Sexualorgans in die frühe Embryonalzeit fällt, während
die kindliche Frühblüte des Sexuallebens in das dritte und vierte Lebensjahr zu verlegen ist. Die
volle Gleichzeitigkeit der anatomischen Ausbildung mit der psychischen Entwicklung ist
natürlich nicht erforderlich. Die betreffenden Untersuchungen sind an der Keimdrüse des
Menschen gemacht worden. Da den Tieren eine Latenzzeit im psychologischen Sinne nicht
zukommt, läge viel daran zu wissen, ob die anatomischen Befunde, auf deren Grund die Autoren
zwei Gipfelpunkte der Sexualentwicklung annehmen, auch an anderen höheren Tieren
nachweisbar sind.
[42] Die Bezeichnung »sexuelle Latenzperiode« entlehne ich ebenfalls von W. Fließ.
[43] In dem hier besprochenen Falle geht die Sublimierung sexueller Triebkräfte auf dem Wege
der Reaktionsbildung vor sich. Im allgemeinen darf man aber Sublimierung und
Reaktionsbildung als zwei verschiedene Prozesse begrifflich voneinander scheiden. Es kann auch
Sublimierungen durch andere und einfachere Mechanismen geben.
[44] Hier erweist sich bereits, was fürs ganze Leben Gültigkeit hat, daß sexuelle Befriedigung das
beste Schlafmittel ist. Die meisten Fälle von nervöser Schlaflosigkeit gehen auf sexuelle
Unbefriedigung zurück. Es ist bekannt, daß gewissenlose Kinderfrauen die schreienden Kinder
durch Streichen an den Genitalien einschläfern.
[45] Ein Dr. Galant hat 1919 im Neurol. Zentralbl. Nr. 20 unter dem Titel ›Das Lutscherli‹ das
Bekenntnis eines erwachsenen Mädchens veröffentlicht, welches diese kindliche
Sexualbetätigung nicht aufgegeben hat und die Befriedigung durch das Lutschen als völlig analog
einer sexuellen Befriedigung, insbesondere durch den Kuß des Geliebten, schildert. »Nicht alle
Küsse gleichen einem Lutscherli: nein, nein, lange nicht alle! Man kann nicht schreiben, wie
wohlig es einem durch den ganzen Körper beim Lutschen geht; man ist einfach weg von dieser
Welt, man ist ganz zufrieden und wunschlos glücklich. Es ist ein wunderbares Gefühl; man
verlangt nichts als Ruhe, Ruhe, die gar nicht unterbrochen werden soll. Es ist einfach unsagbar
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin