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respektive Eizelle und durch die von ihnen ausgehenden Funktionen charakterisiert. Die Aktivität
und ihre Nebenäußerungen, stärkere Muskelentwicklung, Aggression, größere Intensität der
Libido, sind in der Regel mit der biologischen Männlichkeit verlötet, aber nicht
notwendigerweise verknüpft, denn es gibt Tiergattungen, bei denen diese Eigenschaften vielmehr
dem Weibchen zugeteilt sind. Die dritte, soziologische Bedeutung erhält ihren Inhalt durch die
Beobachtung der wirklich existierenden männlichen und weiblichen Individuen. Diese ergibt für
den Menschen, daß weder im psychologischen noch im biologischen Sinne eine reine
Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird. Jede Einzelperson weist vielmehr eine
Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit biologischen Zügen des anderen
Geschlechts und eine Vereinigung von Aktivität und Passivität auf, sowohl insofern diese
psychischen Charakterzüge von den biologischen abhängen als auch insoweit sie unabhängig von
ihnen sind.
[73] Die Psychoanalyse lehrt, daß es zwei Wege der Objektfindung gibt, erstens die im Text
besprochene, die in Anlehnung an die frühinfantilen Vorbilder vor sich geht, und zweitens die
narzißtische, die das eigene Ich sucht und im anderen wiederfindet. Diese letztere hat eine
besonders große Bedeutung für die pathologischen Ausgänge, fügt sich aber nicht in den hier
behandelten Zusammenhang.
[74] Wem diese Auffassung »frevelhaft« dünkt, der lese die fast gleichsinnige Behandlung des
Verhältnisses zwischen Mutter und Kind bei Havelock Ellis nach. (Das Geschlechtsgefühl,
S. 16.)
[75] Die Aufklärung über die Herkunft der kindlichen Angst verdanke ich einem dreijährigen
Knaben, den ich einmal aus einem dunklen Zimmer bitten hörte: »Tante, sprich mit mir; ich
fürchte mich, weil es so dunkel ist.« Die Tante rief ihn an: »Was hast du denn davon? Du siehst
mich ja nicht.« »Das macht nichts«, antwortete das Kind, »wenn jemand spricht, wird es hell.« –
Er fürchtete sich also nicht vor der Dunkelheit, sondern weil er eine geliebte Person vermißte,
und konnte versprechen, sich zu beruhigen, sobald er einen Beweis von deren Anwesenheit
empfangen hatte. – Daß die neurotische Angst aus der Libido entsteht, ein Umwandlungsprodukt
derselben darstellt, sich also etwa so zu ihr verhält wie der Essig zum Wein, ist eines der
bedeutsamsten Resultate der psychoanalytischen Forschung. Eine weitere Diskussion dieses
Problems siehe in meinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-17), woselbst
wohl auch nicht die endgültige Aufklärung erreicht worden ist.
[76] Vgl. hiezu das auf S. 105 über die Objektwahl des Kindes Gesagte: die »zärtliche
Strömung«.
[77] Die Inzestschranke gehört wahrscheinlich zu den historischen Erwerbungen der Menschheit
und dürfte wie andere Moraltabus bereits bei vielen Individuen durch organische Vererbung
fixiert sein. (Vgl. meine Schrift: Totem und Tabu 1912–13.) Doch zeigt die psychoanalytische
Untersuchung, wie intensiv noch der einzelne in seinen Entwicklungszeiten mit der
Inzestversuchung ringt und wie häufig er sie in Phantasien und selbst in der Realität übertritt.
[78] Die Phantasien der Pubertätszeit knüpfen an die in der Kindheit verlassene infantile
Sexualforschung an, reichen wohl auch ein Stück in die Latenzzeit zurück. Sie können ganz oder
zum großen Teil unbewußt gehalten werden, entziehen sich darum häufig einer genauen
Datierung. Sie haben große Bedeutung für die Entstehung mannigfaltiger Symptome, indem sie
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin