Seite - 2708 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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(Symptom-) Bildung ins Auge zu fassen, von der verdrängten Triebregung selbst nahmen wir an,
sie bleibe im Unbewußten unbestimmt lange unverändert bestehen. Nun wendet sich das
Interesse den Schicksalen des Verdrängten zu, und wir ahnen, daß ein solcher unveränderter und
unveränderlicher Fortbestand nicht selbstverständlich, vielleicht nicht einmal gewöhnlich ist. Die
ursprüngliche Triebregung ist jedenfalls durch die Verdrängung gehemmt und von ihrem Ziel
abgelenkt worden. Ist aber ihr Ansatz im Unbewußten erhalten geblieben und hat er sich resistent
gegen die verändernden und entwertenden Einflüsse des Lebens erwiesen? Bestehen also die
alten Wünsche noch, von deren früherer Existenz uns die Analyse berichtet? Die Antwort scheint
naheliegend und gesichert: Die verdrängten alten Wünsche müssen im Unbewußten noch
fortbestehen, da wir ihre Abkömmlinge, die Symptome, noch wirksam finden. Aber sie ist nicht
zureichend, sie läßt nicht zwischen den beiden Möglichkeiten entscheiden, ob der alte Wunsch
jetzt nur durch seine Abkömmlinge wirkt, denen er all seine Besetzungsenergie übertragen hat,
oder ob er außerdem selbst erhalten geblieben ist. Wenn es sein Schicksal war, sich in der
Besetzung seiner Abkömmlinge zu erschöpfen, so bleibt noch die dritte Möglichkeit, daß er im
Verlauf der Neurose durch Regression wiederbelebt wurde, so unzeitgemäß er gegenwärtig sein
mag. Man braucht diese Erwägungen nicht für müßig zu halten; vieles an den Erscheinungen des
krankhaften wie des normalen Seelenlebens scheint solche Fragestellungen zu erfordern. In
meiner Studie über den Untergang des Ödipus-Komplexes bin ich auf den Unterschied zwischen
der bloßen Verdrängung und der wirklichen Aufhebung einer alten Wunschregung aufmerksam
geworden.
[109] Siehe: ›Die Abwehr-Neuropsychosen«.
[110] Es mag oft genug vorkommen, daß in einer Gefahrsituation, die als solche richtig geschätzt
wird, zur Realangst ein Stück Triebangst hinzukommt. Der Triebanspruch, vor dessen
Befriedigung das Ich zurückschreckt, wäre dann der masochistische, der gegen die eigene Person
gewendete Destruktionstrieb. Vielleicht erklärt diese Zutat den Fall, daß die Angstreaktion
übermäßig und unzweckmäßig, lähmend ausfällt. Die Höhenphobien (Fenster, Turm, Abgrund)
könnten diese Herkunft haben; ihre geheime feminine Bedeutung steht dem Masochismus nahe.
[111] Siehe: ›Trauer und Melancholie‹.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin