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Zwei Kinderneurosen.
[1] ›Bruchstück einer Hysterie-Analyse‹ (1905 e).
[2] Die Lehre vom Kastrationskomplex hat seither durch die Beiträge von Lou Andreas,
A. Stärcke, F. Alexander u. a. einen weiteren Ausbau erfahren. Man hat geltend gemacht, daß der
Säugling schon das jedesmalige Zurückziehen der Mutterbrust als Kastration, d. h. als Verlust
eines bedeutsamen, zu seinem Besitz gerechneten Körperteils empfinden mußte, daß er die
regelmäßige Abgabe des Stuhlgangs nicht anders werten kann, ja daß der Geburtsakt als
Trennung von der Mutter, mit der man bis dahin eins war, das Urbild jeder Kastration ist. Unter
Anerkennung all dieser Wurzeln des Komplexes habe ich doch die Forderung aufgestellt, daß der
Name Kastrationskomplex auf die Erregungen und Wirkungen zu beschränken sei, die mit dem
Verlust des Penis verknüpft sind. Wer sich in den Analysen Erwachsener von der
Unausbleiblichkeit des Kastrationskomplexes überzeugt hat, wird es natürlich schwierig finden,
ihn auf eine zufällige und doch nicht so allgemein vorkommende Androhung zurückzuführen,
und wird annehmen müssen, daß das Kind sich diese Gefahr auf die leisesten Andeutungen hin,
an denen es ja niemals fehlt, konstruiert. Dies ist ja auch das Motiv, das den Anstoß gegeben hat,
nach den allgemein vorfindlichen tieferen Wurzeln des Komplexes zu suchen. Um so wertvoller
wird es aber, daß im Falle des kleinen Hans die Kastrationsandrohung von den Eltern berichtet
wird, und zwar aus einer Zeit, da seine Phobie noch nicht in Frage kam.
[3] Wiederum ein typisches Verhalten. Ein anderer, nur um zwei Jahre älterer Bruder pflegte
unter den gleichen Verhältnissen ärgerlich mit dem Ausrufe »zu k(l)ein, zu k(l)ein« abzuwehren.
[4] »Der Storch soll ihn wieder mitnehmen«, äußerte ein anderes, etwas älteres Kind zum
Willkomm des Brüderchens. Vergleiche hiezu, was ich in der Traumdeutung über die Träume
vom Tode teuerer Verwandter bemerkt habe (S. 173 ff., 8. Aufl.).
[5] Das nämliche Urteil, in den identischen Worten ausgedrückt und von der gleichen Erwartung
gefolgt, wurde mir von zwei anderen Knaben berichtet, als sie den Leib eines kleinen
Schwesterchens zuerst neugierig beschauen konnten. Man könnte über diese frühzeitige
Verderbnis des kindlichen Intellekts erschrecken. Warum konstatieren diese jugendlichen
Forscher nicht, was sie wirklich sehen, nämlich daß kein Wiwimacher vorhanden ist? Für unseren
kleinen Hans können wir allerdings die volle Aufklärung seiner fehlerhaften Wahrnehmung
geben. Wir wissen, er hat sich durch sorgfältige Induktion den allgemeinen Satz erworben, daß
jedes belebte Wesen im Gegensatze zum Unbelebten einen Wiwimacher besitzt; die Mutter hat
ihn in dieser Überzeugung bestärkt, indem sie ihm bejahende Auskünfte über solche Personen
gab, die sich seiner eigenen Beobachtung entzogen. Er ist nun ganz und gar unfähig, seine
Errungenschaft wegen der einen Beobachtung an der kleinen Schwester wieder aufzugeben. Er
urteilt also, der Wiwimacher ist auch hier vorhanden, er ist nur noch sehr klein, aber er wird
wachsen, bis er so groß geworden ist wie der eines Pferdes.
Wir wollen zur Ehrenrettung unseres kleinen Hans ein Weiteres tun. Er benimmt sich eigentlich
nicht schlechter als ein Philosoph der Wundtschen Schule. Für einen solchen ist das Bewußtsein
der nie fehlende Charakter des Seelischen, wie für Hans der Wiwimacher das unentbehrliche
Kennzeichen alles Lebenden. Stößt der Philosoph nun auf seelische Vorgänge, die man
erschließen muß, an denen aber wirklich nichts von Bewußtsein wahrzunehmen ist – man weiß
nämlich nichts von ihnen und kann doch nicht umhin, sie zu erschließen –, so sagt er nicht etwa,
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin