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Sexualforschung ermöglicht wurde.
[83] Man kann sich die erste dieser Schwierigkeiten nicht durch die Annahme erleichtern, das
Kind sei zur Zeit der Beobachtung doch wahrscheinlich um ein Jahr älter gewesen, also 2½ Jahre
alt, zu welcher Zeit es eventuell vollkommen sprachfähig sein mag. Für meinen Patienten war
eine solche Zeitverschiebung durch alle Nebenumstände seines Falles fast ausgeschlossen.
Übrigens wolle man in Betracht ziehen, daß solche Szenen von Beobachtung des elterlichen
Koitus in der Analyse keineswegs selten aufgedeckt werden. Ihre Bedingung ist aber gerade, daß
sie in die früheste Kinderzeit fallen. Je älter das Kind ist, desto sorgfältiger werden auf einem
gewissen sozialen Niveau die Eltern dem Kinde die Gelegenheit zu solcher Beobachtung
versagen.
[84] Nach dieser Beschimpfung durch den Lehrer-Wolf erfuhr er als die allgemeine Meinung der
Kollegen, daß der Lehrer zur Beschwichtigung – Geld von ihm erwarte. Darauf werden wir
später zurückkommen. – Ich kann mir vorstellen, welche Erleichterung es für eine rationalistische
Betrachtung einer solchen Kindergeschichte bedeuten würde, wenn sich annehmen ließe, die
ganze Angst vor dem Wolf sei in Wirklichkeit von dem Lateinlehrer gleichen Namens
ausgegangen, in die Kindheit zurückprojiziert worden und hätte in Anlehnung an die
Märchenillustration die Phantasie der Urszene verursacht. Allein das ist unhaltbar; die zeitliche
Priorität der Wolfsphobie und deren Verlegung in die Kindheitsjahre auf dem ersten Gut ist
allzusicher bezeugt. Und der Traum mit 4 Jahren?
[85] Ferenczi (1912).
[86] 6 oder 7 heißt es im Traum. 6 ist die Anzahl der gefressenen Kinder, das siebente rettet sich
in den Uhrkasten. Es bleibt strenges Gesetz der Traumdeutung, daß jede Einzelheit ihre
Aufklärung finde.
[87] Nachdem uns die Synthese dieses Traumes gelungen ist, will ich versuchen, die
Beziehungen des manifesten Trauminhaltes zu den latenten Traumgedanken übersichtlich
darzustellen.
Es ist Nacht, ich liege in meinem Bette. Das letztere ist der Beginn der Reproduktion der Urszene.
»Es ist Nacht« ist Entstellung für: ich hatte geschlafen. Die Bemerkung: Ich weiß, es war Winter,
als ich träumte, und Nachtzeit, bezieht sich auf die Erinnerung an den Traum, gehört nicht zu
seinem Inhalt. Sie ist richtig, es war eine der Nächte vor dem Geburtstag resp. Weihnachtstag.
Plötzlich geht das Fenster von selbst auf. Zu übersetzen: Plötzlich erwache ich von selbst,
Erinnerung der Urszene. Der Einfluß der Wolfsgeschichte, in der der Wolf durchs Fenster
hereinspringt, macht sich modifizierend geltend und verwandelt den direkten in einen bildlichen
Ausdruck. Gleichzeitig dient die Einführung des Fensters dazu, um den folgenden Trauminhalt in
der Gegenwart unterzubringen. Am Weihnachtsabend geht die Türe plötzlich auf, und man sieht
den Baum mit den Geschenken vor sich. Hier macht sich also der Einfluß der aktuellen
Weihnachtserwartung geltend, welche die sexuelle Befriedigung miteinschließt.
Der große Nußbaum. Vertreter des Christbaumes, also aktuell: überdies der Baum aus der
Wolfsgeschichte, auf den sich der verfolgte Schneider flüchtet, unter dem die Wölfe lauern. Der
hohe Baum ist auch, wie ich mich oft überzeugen konnte, ein Symbol der Beobachtung, des
Voyeurtums. Wenn man auf dem Baume sitzt, kann man alles sehen, was unten vorgeht, und
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin