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Menstruationsvorgang auf die männliche Psyche einwirkte. Deren Rolle wurde von
Gesichtserregungen übernommen, die im Gegensatz zu den intermittierenden Geruchsreizen eine
permanente Wirkung unterhalten konnten. Das Tabu der Menstruation entstammt dieser
»organischen Verdrängung« als Abwehr einer überwundenen Entwicklungsphase; alle anderen
Motivierungen sind wahrscheinlich sekundärer Natur. (Vgl. C. D. Daly, 1927.) Dieser Vorgang
wiederholt sich auf anderem Niveau, wenn die Götter einer überholten Kulturperiode zu
Dämonen werden. Das Zurücktreten der Geruchsreize scheint aber selbst Folge der Abwendung
des Menschen von der Erde, des Entschlusses zum aufrechten Gang, der nun die bisher gedeckten
Genitalien sichtbar und schutzbedürftig macht und so das Schämen hervorruft. Am Beginne des
verhängnisvollen Kulturprozesses stünde also die Aufrichtung des Menschen. Die Verkettung
läuft von hier aus über die Entwertung der Geruchsreize und die Isolierung der Periode zum
Übergewicht der Gesichtsreize, Sichtbarwerden der Genitalien, weiter zur Kontinuität der
Sexualerregung, Gründung der Familie und damit zur Schwelle der menschlichen Kultur. Dies ist
nur eine theoretische Spekulation, aber wichtig genug, um eine exakte Nachprüfung an den
Lebensverhältnissen der dem Menschen nahestehenden Tiere zu verdienen.
Auch in dem Kulturstreben nach Reinlichkeit, das in hygienischen Rücksichten eine
nachträgliche Rechtfertigung findet, aber sich bereits vor dieser Einsicht geäußert hat, ist ein
soziales Moment unverkennbar. Der Antrieb zur Reinlichkeit entspringt dem Drang nach
Beseitigung der Exkremente, die der Sinneswahrnehmung unangenehm geworden sind. Wir
wissen, daß es in der Kinderstube anders ist. Die Exkremente erregen beim Kinde keinen
Abscheu, erscheinen ihm als losgelöster Teil seines Körpers wertvoll. Die Erziehung dringt hier
besonders energisch auf die Beschleunigung des bevorstehenden Entwicklungsganges, der die
Exkremente wertlos, ekelhaft, abscheulich und verwerflich machen soll. Eine solche Umwertung
wäre kaum möglich, wenn diese dem Körper entzogenen Stoffe nicht durch ihre starken Gerüche
verurteilt wären, an dem Schicksal teilzunehmen, das nach der Aufrichtung des Menschen vom
Boden den Geruchsreizen vorbehalten ist. Die Analerotik erliegt also zunächst der »organischen
Verdrängung«, die den Weg zur Kultur gebahnt hat. Der soziale Faktor, der die weitere
Umwandlung der Analerotik besorgt, bezeugt sich durch die Tatsache, daß trotz aller
Entwicklungsfortschritte dem Menschen der Geruch der eigenen Exkremente kaum anstößig ist,
immer nur der der Ausscheidungen des anderen. Der Unreinliche, d. h. der, der seine Exkremente
nicht verbirgt, beleidigt also den anderen, zeigt keine Rücksicht für ihn, und dasselbe besagen ja
auch die kräftigsten, gebräuchlichsten Beschimpfungen. Es wäre auch unverständlich, daß der
Mensch den Namen seines treuesten Freundes in der Tierwelt als Schimpfwort verwendet, wenn
der Hund nicht durch zwei Eigenschaften die Verachtung des Menschen auf sich zöge, daß er ein
Geruchstier ist, das sich vor Exkrementen nicht scheut, und daß er sich seiner sexuellen
Funktionen nicht schämt.
[84] Unter den Dichtungen des feinsinnigen Engländers J. Galsworthy, der sich heute allgemeiner
Anerkennung erfreut, schätzte ich früh eine kleine Geschichte, betitelt: ›The Apple-Tree‹. Sie
zeigt in eindringlicher Weise, wie im Leben des heutigen Kulturmenschen für die einfache,
natürliche Liebe zweier Menschenkinder kein Raum mehr ist.
[85] Folgende Bemerkungen, um die oben ausgesprochene Vermutung zu stützen: Auch der
Mensch ist ein Tierwesen von unzweideutig bisexueller Anlage. Das Individuum entspricht einer
Verschmelzung zweier symmetrischer Hälften, von denen nach Ansicht mancher Forscher die
eine rein männlich, die andere weiblich ist. Ebensowohl ist es möglich, daß jede Hälfte
ursprünglich hermaphroditisch war. Die Geschlechtlichkeit ist eine biologische Tatsache, die,
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin