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hatte, beruft sich auch darauf, daß die von Darwin supponierten Zustände der Urhorde bei wilden
Rinder- und Pferdeherden leicht zu beobachten sind und regelmäßig zur Tötung des Vatertieres
führen. Er nimmt dann weiter an, daß nach der Beseitigung des Vaters ein Zerfall der Horde
durch den erbitterten Kampf der siegreichen Söhne untereinander eintritt. Auf diese Weise käme
eine neue Organisation der Gesellschaft niemals zustande: »an ever recurring violent succession
to the solitary paternal tyrant by sons, whose parricidal hands were so soon again clenched in
fratricidal strife
[239] Dieser neuen Gefühlseinstellung mußte auch zugute kommen, daß die Tat keinem der Täter
die volle Befriedigung bringen konnte. Sie war in gewisser Hinsicht vergeblich geschehen.
Keiner der Söhne konnte ja seinen ursprünglichen Wunsch durchsetzen, die Stelle des Vaters
einzunehmen. Der Mißerfolg ist aber, wie wir wissen, der moralischen Reaktion weit günstiger
als die Befriedigung.
[240] »Murder and incest, or offences of a like kind against the sacred law of blood, are in
primitive society the only crimes of which the community as such takes cognizance…« (Smith,
1894, 419).
[241] Vgl. die zum Teil von abweichenden Gesichtspunkten beherrschte Arbeit von C.
G. Jung
(1912).
[242] »To us moderns, for whom the breach which divides the human and the divine has
deepened into an impassible gulf, such mimicry may appear impious, but it was otherwise with
the ancients. To their thinking gods and men were akin, for many families traced their descent
from a divinity, and the deification of a man probably seemed as little extraordinary to them as
the canonization of a saint seems to a modern Catholic.« (Frazer, 1911 a, Bd. 2, 177 f.)
[243] Die Überwindung einer Göttergeneration durch eine andere in den Mythologien bedeutet
bekanntlich den historischen Vorgang der Ersetzung eines religiösen Systems durch ein neues, sei
es infolge von Eroberung durch ein Fremdvolk oder auf dem Wege psychologischer
Entwicklung. Im letzteren Falle nähert sich der Mythus den »funktionalen Phänomenen« im
Sinne von H. Silberer. Daß der das Tier tötende Gott ein Libidosymbol ist, wie C. G. Jung (1912)
behauptet, setzt einen anderen Begriff der Libido als den bisher verwendeten voraus und
erscheint mir überhaupt fragwürdig.
[244] (Ibid., 412): »The mourning is not a spontaneous expression of sympathy with the divine
tragedy, but obligatory and enforced by fear of supernatural anger. And a chief object of the
mourners is to disclaim responsibility for the god’ s death
[245] Die Kastrationsangst spielt eine außerordentlich große Rolle in der Störung des
Verhältnisses zum Vater bei unseren jugendlichen Neurotikern. Aus der schönen Beobachtung
von Ferenczi (1913 a) haben wir ersehen, wie der Knabe seinen Totem in dem Tier erkennt,
welches nach seinem kleinen Gliede schnappt. Wenn unsere Kinder von der rituellen
Beschneidung erfahren, stellen sie dieselbe der Kastration gleich. Die völkerpsychologische
Parallele zu diesem Verhalten der Kinder ist meines Wissens noch nicht ausgeführt worden. Die
in der Urzeit und bei primitiven Völkern so häufige Beschneidung gehört dem Zeitpunkt der
Männerweihe an, wo sie ihre Bedeutung finden muß, und ist erst sekundär in frühere
Lebenszeiten zurückgeschoben worden. Es ist überaus interessant, daß die Beschneidung bei den
Primitiven mit Haarabschneiden und Zahnausschlagen kombiniert oder durch sie ersetzt ist und
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin