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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Seite - 2773 -
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Die weibliche Brust zeigt zwei Mängel, und zwar erstens in künstlerischer Beziehung, denn ihr Umriß bietet den Anblick einer unschön herabhängenden Schlappbrust, und zweitens auch in anatomischer Hinsicht, denn der Forscher Leonardo war offenbar durch seine Sexualabwehr verhindert worden, sich nur einmal die Brustwarze eines säugenden Weibes genau anzusehen. Hätte er das getan, so müßte er bemerkt haben, daß die Milch aus verschiedenen, voneinander getrennten Ausführungsgängen herausströmt. Leonardo aber zeichnete nur einen einzigen Kanal, der weit in den Bauchraum hinunterreicht und wahrscheinlich nach Leonardos Meinung die Milch aus der Cysterna chyli bezieht, vielleicht auch mit den Sexualorganen in irgendeiner Verbindung steht. Allerdings muß in Betracht gezogen werden, daß das Studium der inneren Organe des menschlichen Körpers in damaliger Zeit äußerst erschwert war, weil das Sezieren von Verstorbenen als Leichenschändung angesehen und strengstens bestraft wurde. Ob Leonardo, dem ja nur ein sehr kleines Sektionsmaterial zur Verfügung stand, von der Existenz eines Lymphreservoirs im Bauchraum überhaupt etwas gewußt hat, ist somit eigentlich recht fraglich, obzwar er in seiner Zeichnung zweifellos einen derart zu deutenden Hohlraum darstellte. Daß er aber den Milchkanal noch tiefer nach abwärts bis zu den inneren Sexualorganen reichend zeichnete, läßt vermuten, daß er das zeitliche Zusammenfallen des Beginnes der Milchabsonderung mit dem Ende der Schwangerschaft auch durch sinnfällige anatomische Zusammenhänge darzustellen suchte. Wenn wir nun auch des Künstlers mangelhafte Kenntnisse der Anatomie mit Rücksicht auf die Verhältnisse seiner Zeit gerne entschuldigen wollen, so ist es doch auffallend, daß Leonardo gerade das weibliche Genitale so vernachlässigt behandelt hat. Man kann wohl die Vagina und eine Andeutung der Portio uteri erkennen, die Gebärmutter selbst ist aber in ganz verworrenen Linien gezeichnet. Das männliche Genitale hingegen hat Leonardo viel korrekter dargestellt. So zum Beispiel hat er sich nicht begnügt, den Testikel zu zeichnen, sondern hat auch ganz richtig die Epididymis in die Skizze aufgenommen. Äußerst merkwürdig ist die Stellung, in welcher Leonardo den Koitus vollziehen läßt. Es gibt Bilder und Zeichnungen hervorragender Künstler, die den coitus a tergo, a latere usw. darstellen, aber einen Geschlechtsakt im Stehen zu zeichnen, da muß wohl eine ganz besonders starke Sexualverdrängung als Ursache dieser solitären, beinahe grotesken Darstellung vermutet werden. Wenn man genießen will, so pflegt man es sich so bequem als möglich zu machen. Das gilt natürlich für beide Urtriebe, für Hunger und Liebe. Die meisten Völker des Altertums nahmen beim Mahle eine liegende Stellung ein, und beim Koitus liegt man normalerweise heutzutage gerade so bequem, wie unsere Vorfahren es taten. Durch das Liegen wird gewissermaßen das Wollen ausgedrückt, in der erwünschten Situation längere Zeit hindurch zu verweilen. Auch die Gesichtszüge des femininen Männerkopfes zeigen eine geradezu unwillige Abwehr. Die Brauen sind gerunzelt, der Blick ist mit einem Ausdruck von Scheu seitwärts gerichtet, die Lippen sind zusammengepreßt und ihre Winkel nach unten verzogen. Dieses Gesicht läßt wahrlich weder die Lust des Liebespendens noch die Seligkeit des Gewährens erkennen; es drückt nur Unwillen und Abscheu aus. Die gröbste Fehlleistung hat aber Leonardo bei der Zeichnung der beiden unteren Extremitäten begangen. Der Fuß des Mannes sollte nämlich der rechte sein; denn da Leonardo den 2773
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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