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Staaten stützten, die der R2P misstrauisch gegenüberstanden. Auch der VN-General-
sekretär befürwortete die Verknüpfung, indem er Friedenmissionen als ein Instru-
ment innerhalb der Palette der R2P-bezogenen Maßnahmen behandelte.
Viel spricht aber für eine klarere Abgrenzung der Konzepte.8 Die Gründe hierfür
wurden im Nachgang zu den Interventionen in Libyen und der Elfenbeinküste im Jahr
2011 deutlich: Resolution 1973 des VN-Sicherheitsrats, die den Einsatz von Gewalt
gegen libysche Truppen erlaubte, und Resolution 1975, die das Mandat der United
Nations Operation in Côte d‘Ivoire (UNOCI) in der Elfenbeinküste zur Anwendung
von Gewalt zum Schutz von Zivilisten stärkte, vermischten Formulierungen zu R2P
und PoC. In Libyen wurde somit der Schutz von Zivilisten zur Legitimierung eines
gewaltsamen Regimewechsels genutzt. In der Elfenbeinküste wurde aus der friedens-
erhaltenden Mission (peacekeeping) unversehens eine friedenserzwingende Mission
(peaceenforcement). Zwar betonte der VN-Generalsekretär Ban Ki-Moon 2012 die Un-
terschiede zwischen R2P und PoC, doch schon drei Jahre später bezeichnete er Frie-
densmissionen als „Front-Ressource zur Unterstützung unter Druck stehender Staaten
bei der Aufrechterhaltung ihrer Schutzverantwortung“. Sein Nachfolger António Gu-
terres betonte in seinem Bericht zur R2P von 2019: „Der Schutz der Zivilbevölkerung
durch Friedenssicherungseinsätze der Vereinten Nationen gehört zu den direktesten
Möglichkeiten der Organisation, Gräueltaten zu verhindern.“
PROBLEME DER UMSETZUNG VON PoC
Die Aufnahme von PoC in den Aufgabenkatalog von VN-Friedensmissionen erhöht die
Anforderungen an die internationale Gemeinschaft beträchtlich. Abgesehen von wie-
derholten Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe von Blauhelmsoldaten auf die Bevöl-
kerung, zeigen interne Untersuchungen der VN, dass Friedensmissionen häufig nicht
in der Lage sind, Zivilisten effektiv zu schützen. Die Gründe hierfür liegen in ungeeig-
neter Ausrüstung, fehlender Ausbildung und Unklarheit hinsichtlich der Einsatzregeln
und Befehlshierarchien aufseiten der Truppen vor Ort sowie in einer unterschiedlichen
Auslegung des Konzepts „Schutz von Zivilisten“ durch die truppenstellenden Staaten
(→ Bode/Karlsrud 2019). Zwar ist mit den sogenannten Kigali-Prinzipien ein Verhal-
tenskodex für die truppenstellenden Staaten vereinbart worden, doch drohen Frie-
densmissionen gerade in Fällen, in denen kein oder nur fragiler Friede herrscht, und
in denen das Gastland nur wenig Kooperationsbereitschaft zeigt (z.B. Südsudan oder
Demokratische Republik Kongo), an ihren Aufgaben zu scheitern.
Hinzu kommt, dass der Gewalteinsatz zum Schutz von Zivilisten häufig als Partei-
lichkeit ausgelegt wird und die Grenze zur Friedenserzwingung überschreitet. Damit
verlieren VN-Truppen ihren Status als Vermittler und werden selbst zur Konfliktpar-
tei. Das lässt einerseits die klassischen truppenstellenden Staaten des globalen Südens Schutzverantwor-
tung und Schutz von
Zivilisten voneinander
abgrenzen
Schutz von Zivilisten
kann oft nicht ge-
währleistet werden
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66 2020 / Friedensmissionen müssen neu austariert werden / BEWAFFNETE KONFLIKTE
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Titel
- Friedensgutachten 2020
- Untertitel
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Abmessungen
- 21.0 x 28.5 cm
- Seiten
- 162
- Schlagwörter
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Kategorie
- Recht und Politik