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Die bereits für den Fall Libyen erwähnte Option, den IStGH einzuschalten, wurde hier
von sechs Mitgliedsstaaten der OAS genutzt. Die Bundesregierung unterstützt diese
harte Linie gegenüber dem Maduro-Regime.2 Spätestens mit der diplomatisch und
verfassungsrechtlich äußerst problematischen Anerkennung Juan Guaidós als Präsi-
dent Venezuelas hat sie explizit Partei für die Opposition ergriffen und damit eine
mögliche Rolle als Vermittlerin konterkariert. Generell können Sanktionen dazu
führen, dass sich die Reihen der Regime-Anhänger umso fester schließen („Wagen-
burg-Effekt“) und eine friedliche Konfliktbeilegung erschwert wird.
Eine dritte Strategie besteht in der Konfliktvermittlung und der Förderung von Dia-
logprozessen. In diesem Sinne waren im Jahre 2019 etwa die Afrikanische Union, die
VN und die EU aktiv → 25 /85, ebenso einzelne Staaten wie Äthiopien (Sudan-Kon-
flikt) und Norwegen (Venezuela-Konflikt). Nicht zu unterschätzen sind zudem interne
Akteure. So bemühte sich die Katholische Kirche in Nicaragua um einen nationalen
Dialog. Deutschland hat sich in diesem Feld in den letzten fünf Jahren nicht promi-
nent positioniert, sondern wirkte, wenn überhaupt, eher unterstützend. Allerdings
beteiligte sich die Bundesregierung 2014 federführend an der Konfliktvermittlung
bei den Euromaidan-Protesten in der Ukraine. Die EU verfolgte eine Doppelstrategie.
Sie sandte einerseits eine Vermittlungsmission unter Federführung von Deutschland,
Frankreich und Polen; andererseits verhängte sie gleichzeitig umfassende Sanktionen
gegenüber den „Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und über-
mäßigen Zwang“ (so die italienische Außenministerin Emma Bonino)3. Dies führte
zum Abschluss eines Abkommens zwischen Regierung und Opposition über die Kon-
fliktbeilegung zum 21. Februar 2014. Angesichts der klaren Positionierung der EU für
die Opposition haftete der Vermittlungsinitiative jedoch der Verdacht der „Parteilich-
keit“ an, und letztlich scheiterte sie. Die externe Ermöglichung von Dialogprozessen
ist gleichwohl ein international vernachlässigtes Handlungsfeld, das es systematischer
zu nutzen gilt.
Viertens können Protestakteure materiell und politisch-symbolisch unterstützt wer-
den. Dabei spielen auch NGOs und Stiftungen eine Rolle, so die vom US-Milliardär
George Soros finanzierten Open Society Foundations in Mittel- und Osteuropa (z.B.
Serbien, Ukraine, Russland). Angesichts der großen Bedeutung medialer Berichter-
stattung für den Verlauf sozialer Proteste spielt für westliche Akteure gerade symbo-
lische Politik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dabei ist zu beachten, dass schon
die symbolische Unterstützung, aber erst recht die offene Parteinahme für Protest-
akteure diese nicht nur stärken kann. Sie kann dem Narrativ der Gegner einer
Protestbewegung Vorschub leisten, das diese regelmäßig als „vom Westen/Ausland
gesteuert“ darstellt (z.B. China im Fall der Honkong-Proteste, die Maduro-Regierung
in Venezuela). Ein weiteres Problem der Unterstützung von Protestakteuren ist, dass Konfliktvermittlung
und Dialog – ein
vernach lässigtes
Handlungsfeld
friedensgutachten / 2020
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Titel
- Friedensgutachten 2020
- Untertitel
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Abmessungen
- 21.0 x 28.5 cm
- Seiten
- 162
- Schlagwörter
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Kategorie
- Recht und Politik