Seite - 112 - in Friedensgutachten 2020 - Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
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SCHLUSSFOLGERUNGEN
Dem Trend zunehmend offensiver Cyberdoktrinen sollte Deutschland auf mehreren
Ebenen entgegenwirken. Die Bundesregierung sollte die Option militärischer Hackbacks
auf begründete Ausnahmefälle beschränken, also auf die Abwehr gravierender und akuter
Gefahren, die mit diplomatischen oder polizeilichen Maßnahmen nicht bewältigt werden
können. Analog zu konventionellen Auslandseinsätzen der Bundeswehr muss die Zu-
stimmung des Bundestags verpflichtend sein. Um angemessen schnelle Reaktionen zu
ermöglichen, könnte die Autorisierung zunächst durch einen ständig erreichbaren Unter-
ausschuss erfolgen. Der gesamte Bundestag müsste aber umgehend in Kenntnis gesetzt
werden. Er könnte dann beispielsweise den Abbruch fortdauernd eskalierender Einsätze
verlangen. Die Entwicklung offensiver Kapazitäten sollte auf wenige Einsatzszenarien
begrenzt werden. Stattdessen sollten Ressourcen in die Stärkung der Resilienz kritischer
Infrastrukturen fließen. Sicherheitsanforderungen für Hard- und Softwareanbieter sollten
erhöht und der Informationsaustausch über Cyberattacken und Verwundbarkeiten ver-
bessert werden.
Bewegung gibt es in globalen Normbildungsinitiativen. Um dem beobachtbaren „Wettrüs-
ten“ im Cyberraum entgegenzuwirken, sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, dass
die Arbeit von GGE und OEWG im VN-Kontext mittelfristig wieder zusammengeführt wird
und kurzfristig eine enge Koordination der Agenden erfolgt. Inhaltlich sollte sich Deutsch-
land für eine möglichst universelle Bekräftigung grundlegender Normen einsetzen. Dazu
gehören die Tabuisierung von Angriffen auf den Public Core des Internets sowie der Ver-
zicht auf Cyberattacken (no first-use) gegen kritische zivile Infrastruktur. Ebenso wichtig
ist es, positive Anreize für Verhaltensänderungen nichtstaatlicher Akteure zu schaffen. So
ließe sich der bisherige GGE-Normenkatalog durch die Verpflichtung ergänzen, eine Kultur
der Offenlegung von Sicherheitslücken durch eine stärkere Zusammenarbeit mit „ethi-
schen Hackern“ zu fördern.
Um die Logik von Nullsummenspielen und Präventivschlägen zu durchbrechen, sollte
Deutschland stärker als Sponsor divers zusammengesetzter Austauschforen wie der
GCSC agieren, die Eskalationsrisiken, den Einfluss von Fehlwahrnehmungen auf das
Krisenmanagement sowie Proliferationsgefahren thematisiert sollten. Um das Risiko
ungewollter Eskalationen zu verringern, bedarf es schließlich dringend einer internatio-
nalen Verständigung über Standards für die Attribution von Cyberattacken sowie unpar-
teiischer Analyseinstanzen. Die Bundesregierung sollte für die Einrichtung eines transna-
tionalen Attributionskomitees werben und einen Vorschlag für dessen Organisation und
Finanzierung machen. Um dessen Unabhängigkeit und Integrität zu garantieren, sollten
international anerkannte Forschungsinstitutionen auf dem Gebiet der Computerforensik
dieses Gremium besetzen und nicht die Staaten selbst. Eine hinreichend unabhängige
und international legitimierte Institution könnte das Reputationsrisiko für die Verletzung
internationaler Normen steigern und zugleich die Gefahr militärischer Überreaktionen auf
Cybervorfälle senken.
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112 2020 / Zwischen Cyberfrieden und Cyberkrieg / RÜSTUNGSDYNAMIKEN
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Titel
- Friedensgutachten 2020
- Untertitel
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Abmessungen
- 21.0 x 28.5 cm
- Seiten
- 162
- Schlagwörter
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Kategorie
- Recht und Politik