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2019). Das kommt nicht von ungefähr. Der wirtschaftliche Entwicklungspfad der VR
China, das selbstbewusste Vordringen in neue Handlungsfelder und die Aufgabe
militärischer Zurückhaltung sorgen in der NATO, aber auch in der EU oder den
Vereinten Nationen, für Verunsicherung. Neben der Modernisierung und Aufrüstung
des chinesischen Militärs beunruhigen insbesondere die Ausweitung des chinesischen
Aktionsradius und der artikulierte Anspruch auf die Mitgestaltung „neuer“ Räume
wie der Arktis oder des Weltraums. Das 2019 veröffentlichte chinesische Weißbuch
zur Landesverteidigung hat den Weltraum als sicherheitspolitisches Aktionsfeld
klassifiziert (→ State Council 2015). China hat im Dezember 2018 mit der Chang’e
4-Mission die Erkundung der erdabgewandten Mondseite begonnen, und 2019 haben
China und Russland ihre Kooperationsabsichten im Bereich der Weltraumerkundung
offiziell unterstrichen. Diesen zivilen Erkundungsmissionen wird eine potenzielle mili-
tärische Komponente zugeschrieben, was wohl einer der Gründe war, weshalb der
US-Präsident im Dezember 2019 die bereits angekündigte Gründung einer Space Force
vollzog, um gegen zukünftige militärische Konflikte im Weltall gewappnet zu sein.
Wie kein anderes Projekt steht aber die Initiative der Neuen Seidenstraße → 40 /127 für
die Neufassung der chinesischen Außen- und Sicherheitsstrategie und der Weltord-
nungspolitik der VR China. Im Herbst 2013 hatte Xi Jinping zunächst in Kasachstan mit
der Eurasischen Landbrücke die kontinentale Seidenstraße reaktiviert. Wenig später
erfolgte die Proklamation einer maritimen Seidenstraße. China investiert in den Bau von
Häfen, Flughäfen, Schienennetzen und Autobahnen entlang dieser neuen Seidenstra-
ße(n). Auf der einen Seite zielen die Investitionen auf eine Diversifizierung von Import-
und Exportrouten ab, um die Verwundbarkeit der chinesischen Wirtschaft zu reduzie-
ren. Diese ist stark exportorientiert und auf den Import von Energieressourcen
angewiesen. Die bisherigen Handelsrouten könnten durch Seeblockade im Zuge von
Handelskriegen oder durch maritimen Terrorismus im Südchinesischen Meer gefähr-
det werden. Auf der anderen Seite gehen die Aufträge zum Bau und Ausbau dieser
Transportinfrastruktur in der Regel an chinesische, häufig staatseigene Firmen. Dies
ermöglicht den Export vorhandener Überkapazitäten und sichert Folgeaufträge.
Für die Infrastrukturprojekte vergibt die VR China konditionsfreie Kredite ohne Boni-
tätsprüfung oder Auflagen, die dazu beitragen könnten, alte Staatsschulden abzubauen
und die zukünftige Liquidität sicherzustellen. Zudem knüpft China keine politischen
Forderungen an seine Seidenstraßenprojekte. Dies birgt für strukturschwache Regio-
nen und Transformationsländer Chancen, aber auch unkalkulierbare Risiken. Gerade
in Afrika und Lateinamerika besteht ein extremer Modernisierungsdruck. China dient
als Partner für den Aufbau strategisch wichtiger Infrastruktur. Allerdings verdeutlichen
Fälle wie Sri Lanka, dass diese bedingungslosen Kredite gerade finanzschwache Länder
und Regionen in neue Schuldenfallen treiben können → 41 /129. Zudem schwächt diese
Vergabepraxis die Durchsetzungskraft bestehender Normen und Standards im Bereich
der Entwicklungszusammenarbeit, in der die Vergabe von Krediten an die Einhaltung
von Menschenrechten und Kriterien von good governance gebunden sind. China sieht Weltraum
als sicherheitspoliti-
sches Aktionsfeld
Die Neue Seidenstra-
ße ist das zentrale
Projekt der Weltord-
nungspolitik Chinas
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128 2020 / Wer ordnet die Welt? Neue Mächte und alte Institutionen / INSTITUTIONELLE FRIEDENSSICHERUNG
Friedensgutachten 2020
Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Titel
- Friedensgutachten 2020
- Untertitel
- Im Schatten der Pandemie: letzte Chance für Europa
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5381-0
- Abmessungen
- 21.0 x 28.5 cm
- Seiten
- 162
- Schlagwörter
- Frieden, Bewaffnete Konflikte, Sicherheit, Internationale Politik, Entwicklungszusammenarbeit, Krieg, Gewalt, Politik, Konfliktforschung, Globalisierung, Politikwissenschaft
- Kategorie
- Recht und Politik